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Chelsea Manning in einem Foto aus dem Prozessakten.

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Chelsea Mannings erste Schritte in Freiheit.

Foto: Reuters/Handout

Wer im Sommer vor fast vier Jahren in dem viel zu kleinen Gerichtssaal der Kaserne Fort Meade saß, um den Prozess gegen Bradley Manning zu verfolgen, wird den Augenblick so schnell nicht vergessen. Der schmächtige Obergefreite hockte in einem großen schwarzen Kunstledersessel, er rang mit sich, dann sprach er so hastig, als wollte er es möglichst schnell hinter sich bringen.

"Als Erstes, Euer Ehren, möchte ich mit einer Entschuldigung beginnen", sagte er mit belegter Stimme, an Militärrichterin Denise Lind gewandt. "Es tut mir leid, dass mein Handeln Menschen geschadet hat, es tut mir leid, dass es den Vereinigten Staaten geschadet hat." Dass Lind ihn dennoch in einem Akt drakonischer Härte zu 35 Jahren Haft verurteilte, war eine bittere Stunde, nicht nur für Manning. Draußen vor dem Saal standen seine Anhänger in der Augusthitze und rangen um Fassung, auch wenn sie ihrem Helden zum Abschied aufmunternde Worte zuriefen.

"Sie will einfach leben"

Am Mittwoch hat für Chelsea Manning, in jedem Sinne des Wortes, ein neues Leben begonnen. Als sich die Tore des Militärgefängnisses Fort Leavenworth in der Prärie von Kansas öffneten, kam eine 29-Jährige heraus, die sich schon kurz nach dem Verfahrensende und der Verurteilung öffentlich dazu bekannte, eine Frau in der körperlichen Hülle eines Mannes zu sein. Durch einen Hungerstreik zwang sie die Armee, auf ihre Bitte nach einer Geschlechtsumwandlung einzugehen. Zuletzt durfte sie Make-up tragen, während ihr Haar kurz geschnitten sein musste. Das Militär gestattete eine Hormonbehandlung, eine Operation aber wird erst in Freiheit möglich sein.

Chelsea Manning, sagt Chase Strangio, einer ihrer Anwälte, werde neue Freunde treffen, Mitglieder der Transgender-Community, eines Kreises, zu dem sie vor ihrer Haft keinen Zugang hatte. "Sie will aber auch einfach leben. Musik hören. Pizza essen. Jung sein." Sie selber schrieb vor vier Wochen in einem Tweet: "Du weißt, dass du schon eine Weile im Gefängnis bist, wenn dir die Aussicht auf Freiheit die Nerven raubt." Zweimal versuchte sie in der Haft, sich das Leben zu nehmen. Man konnte ahnen, welche Seelenqualen sie litt angesichts der Strafe, die, so formulierte sie es in einem Gnadengesuch an Barack Obama, in keinem Verhältnis zu dem stehe, was sie getan habe.

Chelsea Manning tweetete am Mittwoch ein Bild ihrer ersten Schritte in Freiheit.

Bradley Manning war 2009 als Computeranalyst seiner Einheit in den Irak verlegt worden. Im Camp Hammer, in der Nähe Bagdads, konnte er unbeschränkt auf ein Kommunikationsnetz zugreifen, dessen sich sowohl die Streitkräfte als auch die Botschaften der USA bedienten. Irgendwann kam er an den geheimgehaltenen Videomitschnitt einer Attacke auf Zivilisten in Bagdad. Vor Gericht schilderte er, wie schockiert er war, als er sah, mit welcher "Lust am Töten" US-Soldaten an Bord zweier Apache-Hubschrauber handelten, als sie Raketen abfeuerten und 13 Iraker tödlich trafen, unter ihnen einen Fotografen, dessen Kamera die GIs mit einer Waffe verwechselten.

Obamas korrigierter Fehler

Nicht nur das Video spielte er in Folge Wikileaks zu, sondern auch rund 250.000 vertrauliche Depeschen, in denen amerikanische Diplomaten prägnant beschrieben, wie sie wirklich über die Politiker ihrer Gastländer dachten.

Dass Chelsea Manning 28 Jahre vor Haftende freikommt, hat sie Barack Obama zu verdanken. Ausgerechnet Obama, der Whistleblower mit einer Unerbittlichkeit verfolgte, wie es zuvor bei keinem seiner Vorgänger der Fall gewesen war. So gesehen hat der Präsident schlicht einen Fehler korrigiert, als er Manning begnadigte, kurz bevor er sein Amt an Donald Trump übergab.

Um ihr den Neustart zu erleichtern, hat ein Netzwerk von Sympathisanten 144.000 Dollar (130.000 Euro) gesammelt. Fürs Erste wird sie wohl nach Potomac ziehen, in eine idyllische Kleinstadt bei Washington. Näheres ist nicht bekannt, auch ihre Rechtsberater geizen mit Details. In Potomac jedenfalls wohnt ihre Tante Debra van Alstyne, und die war einst in Fort Meade an jedem einzelnen Prozesstag – quasi anstelle der Eltern – in der zweiten Reihe hinter ihrem Neffen gesessen, der nun ihre Nichte ist. Mit stoischer Miene, fest entschlossen, moralischen Beistand zu leisten. (Frank Herrmann aus Washington, 17.5.2017)