Nichelino/Moncalieri – Sollten Sie eine konkrete Vorstellung von einem Idyll haben – das Gegenteil wären jene Gegenden, wo Italdesign bei Turin beheimatet ist. Klug gewählt, denn Trostlosigkeit befeuert wohl die Kreativität der hier werkenden Geister. Schon den alten Griechen sagt eine These nach, sie seien so hässlich gewesen, dass sie zum Ausgleich ihr Schönheitsideal ersannen.

Furore in Genf

Der STANDARD hatte das Privileg, die heiligen Hallen in Nichelino (Prototypen, Vorserien, Karosseriebau) und Moncalieri (Firmensitz) besuchen zu dürfen – das traf sich gut, hatte die Audi-Tochter doch unlängst erst, in Genf, mit zwei spektakulären Projekten für Furore gesorgt. Mit dem Kracher "Italdesign Automobili Speciali" (Zerouno) und dem Pop.up, einer Kooperation mit Airbus.

Einer von Fünfen: Der Italdesign-Supersportler Zerouno in voller Pracht. Wohlfeil für 1,5 Mille.
Foto: Italdesign

Italdesign ist ein 68er-Kind, bis heute assoziiert man damit vor allem die Designerfamilie Giugiaro – die aber seit 2010, dem Jahr der Übernahme durch Audi, kaum (und seit 2015 gar nicht) mehr damit zu tun hat. Von Italdesign gestaltet wurden Autolegenden wie Maserati Quattroporte III, BMW M1, DeLorean DMC-12 (Zurück in die Zukunft -Mobil!), und damit sind wir schon beim Wandel, den sich die Firma verordnet hat.

Derzeit, erläutert Geschäftsführer Jörg Astalosch, erwirtschafte man 85 bis 90 Prozent innerhalb des VW-Konzerns (und es gibt nix geschenkt; jeder Auftrag will gegen harte konzerninterne Konkurrenz gewonnen werden), den Rest mit Fremdkunden. Ziel sei eine 50:50-Balance und eine Streuung der Klientel über Europa, Fernost und die USA (wo man sich derzeit noch schwer tut), um zyklische Schwankungen im Geschäft besser austarieren zu können. Fremdgehen ist Ehrensache, oder so.

Fertigung des Zerouno
Foto: Italdesign

1000 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, davon waren im Vorjahr 788 im Bereich Forschung und Entwicklung tätig (zum Vergleich: 2016 beschäftigte Audi insgesamt 10.714 Mitarbeiter in diesem Metier), rund 100 im Design, der Rest in der Verwaltung.

Kreativschmiede

Schon daraus ergibt sich, dass Italdesign heute eigentlich eher Italingenieurswesen heißen sollte, was dadurch bestätigt wird, dass Design in der Kreativschmiede momentan 16 Prozent vom Kuchen ausmacht, Vorserie 24 Prozent, Ingenieurswesen 60.

Was wird nun konkret hier gemacht? Es entstehen jährlich rund 500 Rohkarossen und 25 Gesamtfahrzeuge, und wenn man in Nichelino ein wenig den Eindruck einer Hightech-Bastelbude kriegt, liegt man auch nicht ganz falsch.

Audi, Mini und Dings

Klammheimlich haben sich die Italiener zu einer der ganz wenigen Firmen weltweit gemausert, die die komplette Fahrzeugentwicklung beherrschen – Edag und Magna wären zwei andere. So hat man für Mutter Audi den Klein-SUV Q2 entwickelt, für BMW den Mini 2. Außerdem noch – nein, halt, darüber dürfen wir nicht berichten, wir gaben das Ehrenwort.

Messtechniker bei der Arbeit. Die Italiener designen aber auch Nikon-Kameras, Olympiafackeln,
Superschnellzüge, Pasta etc.
Foto: Italdesign

Erzählt werden darf hingegen 01 und 3D. 01 heißt Zerouno, dahinter steckt ein Supersportwagen auf Basis Audi R8 / Lamborghini Huracán. Vom ersten Strich bis zum fertigen "Italdesign Automobili Speciali" sind nur neun Monate vergangen, auf fünf Stück ist die Kleinstserie limitiert, Kostenpunkt pro Fahrzeug: 1,5 Millionen Euro vor Steuern. Erster Kunde ist ein Belgier, der zweite stammt aus Osteuropa, der dritte aus Macao, der vierte Wagen "ist verkauft", der fünfte noch nicht. Interesse? Anruf in Moncalieri genügt.

Bei entsprechender Nachfrage könnte man noch einen Roadster nachschieben. Neun Stück maximal und natürlich teurer. Jedenfalls hat man damit ein wunderbares Vorzeigeobjekt zur Demonstration des eigenen Könnens.

Bodenmodul mit Passagierkabine der Taxidrohne Pop.up – eine Studie gemeinsam mit Airbus.
Foto: Italdesign

3D schließlich: nicht Druck, sondern dreidimensionale Mobilität, auf dem Boden und in der Luft. Mit dem Pop.up, einer Gemeinschaftsarbeit mit Airbus, hat Italdesign für gehörigen Wirbel gesorgt. Es gibt ein Bodenmodul, eine Passagierkabine und ein Luftmodul. Beim Fliegen entfällt das untere, beim Fahren das obere.

Sieben bis zehn Jahre

Nur fünf bis zehn Airbus-Mitarbeiter und zehn von Italdesign haben das Projekt gestemmt, erst bei Fertigung der Studie brauchte man mehr. Airbus-Chef Thomas Enders habe extrem offen auf die Anfrage von Astalosch reagiert, das Establishment einmal aufzumischen. Und man täusche sich nicht, beim Pop.up handelt es sich nicht um einen feuchten Traum kreativer Denker. In sieben bis zehn Jahren wird ein nach diesem Prinzip funktionierendes Gerät in Serie gehen. Ersonnen hier im Anti-Idyll bei Turin. Flieg ab! (Andreas Stockinger, 20.5.2017)