"Die haben damals gelacht und getanzt als uns die Russen vertrieben haben", erzählt Akhmat aus Inguschetien. "Die", das sind die Osseten, die wenige Kilometer weiter im Westen der kleinen Kaukasus-Republik leben. Zwischen Inguschetien und Ossetien gibt es eine streng kontrollierte Grenze. Dabei gehören beide Kaukasus-Republiken zu Russland.

Grenze zwischen Nordossetien und Inguschetien im Kaukasus.
Foto: Thomas Schmidinger

Historische Gegnerschaft

Im Februar 1944, als Stalin die Inguschen und Tschetschenen aus ihrer Heimat vertreiben ließ, wurde ein Teil Inguschetiens Ossetien zugeschlagen. Die Osseten galten damals längst als "Lieblingsvolk" der Russen im Kaukasus. Im Gegensatz zu Tschetschenen, Tscherkessen, Inguschen, Awaren und den meisten anderen nordkaukasischen Bevölkerungsgruppen, waren die verbliebenen iranischsprachigen Osseten weitgehend christlich, was sie schon zu den liebsten Nordkaukasiern des Zaren machte.

Dabei gab es bis in die 1870er-Jahre auch muslimische Osseten. Vor allem die Adeligen waren seit dem 16. Jahrhundert zum Islam konvertiert. Nach der Eroberung des Kaukasus durch das Russische Reich wanderten sie mit vielen Tscherkessen, Abchasen und Tschetschenen ins Osmanische Reich aus. Die verbliebenen christlichen Osseten galten seither als Verbündete des Zaren. Dies machte zunächst eher Tschetschenen und Inguschen zu Verbündeten der Bolschewiken, was sich erst unter Stalin ändern sollte. Der Widerstand von Inguschen und Tschetschenen gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Kollaboration einiger Kaukasier mit den Deutschen, machte sie in Stalins Augen kollektiv zu Verrätern. Daran konnte auch nichts ändern, dass wesentlich mehr Inguschen und Tschetschenen in der Roten Armee gegen die Nazis kämpften als es jemals Sympathisanten mit Deutschland gegeben hätte.

Konflikt um den Rajon Prigorodny

Auch wenn die Vertriebenen 1957 wieder zurückkehren durften, blieben die an Ossetien abgetretenen Gebiete bei Ossetien. Die damaligen Tschetscheno-Inguschische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik erhielt dafür andere Gebiete im Austausch, die allerdings nach der Trennung von Inguschetien und Tschetschenien 1991 bei Tschetschenien blieben. Viele Inguschen kehrten trotzdem in ihre Dörfer nach Ossetien zurück.

1992 kam es in den Wirren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem kurzen militärischen Konflikt zwischen ossetischen und inguschischen Milizen um den umstrittenen Rajon Prigorodny, der mit der Vertreibung der dortigen inguschischen Bevölkerung und der Zerstörung ihrer Dörfer endete.

Seither stehen beide Republiken einander trotz russischer Herrschaft feindlich gegenüber – eine Feindschaft, die durch die Geiselnahme von Beslan im September 2004, an der neben tschetschenischen auch inguschische Angreifer beteiligt waren, weiter gepflegt wurde.

Mahnmal für die Opfer der Deportation in Nasran.
Foto: Thomas Schmidinger
Im UG des Denkmals wird auch den Opfern des ossetisch-inguschischen Konflikts von 1992 gedacht.
Foto: Thomas Schmidinger

Grenzen innerhalb Russlands

An der Grenze werden Autos genau durchsucht. Ein ossetischer Grenzbeamte verlangt Bestechungsgeld und wird etwas unrund, wenn man nicht bezahlt. Umgekehrt vermeiden Taxifahrer aus der ossetischen Hauptstadt Wladikawkas lieber die Fahrt nach Inguschetien. Es benötigt einiges an Überredungskünsten, um einen Osseten dazu zu gewinnen einen in die südlichen Berge Inguschetiens zu bringen.

Dabei ist die Grenze dort, kurz vor der internationalen Grenze zu Georgien, heute ohnehin geschlossen. Die inguschischen Grenzer erzählen etwas von einer "antiterroristischen Operation". Die Repression in Tschetschenien hat dazu geführt, dass die Kämpfer des Kaukasus-Emirats heute stärker in Dagestan und Inguschetien operieren. Was auch immer russische und inguschische Sicherheitskräfte heute dort tun, sie wollen offenbar keine Zuseher dabei haben. Der Nordkaukasus bleibt auch außerhalb Tschetscheniens ein unruhiges Gebiet. (Thomas Schmidinger, 22.5.2017)

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