Mitten in der Hochsaison der Lehrlingssuche die gute Nachricht: Nach fast zehn Jahren steilem Absturz gibt es nun erstmals wieder ein Plus bei den Lehranfängern und laut Wirtschaftskammer eine sehr hohe Zufriedenheit der Lehrlinge mit ihrem Berufsweg. Vorbereitungskurse für die Lehrabschlussprüfung werden in Zukunft zur Gänze bezahlt, neue Formen der Lehre werden gefördert. In Niederösterreich schickt man die Lehrlinge sogar auf eine "Walz" ins Ausland. Ist das eine Trendwende, die tausende Junge in den Arbeitsmarkt bringt und den Fachkräftemangel von der IT bis in die Gastronomie beseitigt?

Kurzer Aufschwung

Der Weg ist jedenfalls weit angesichts der langfristigen Entwicklung: Vor sieben Jahren haben rund 40.000 Junge – grob 15 Prozent der Fünfzehnjährigen (im Westen fast jeder Zweite, in den Ballungsräumen im Osten deutlich weniger) – eine Lehre begonnen. Aktuell sind es 28.000 – woraus sich allerdings aktuell ein Plus zum Vorjahr von fast zwei Prozentpunkten ergibt. Laut Arbeitsmarktservice dürfte das Gesamtjahr 2017 aber erneut einen Rückgang der Lehranfänger bringen. Es gebe zwar mehr Angebot (plus 18,5 Prozent offene Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr), aber laufend weniger Nachfrage.

Illustration: Der Standard

Grundsätzlich steckt die Lehre aber in einer mehrfachen Zwickmühle zwischen Bildungsexpansion, demografischer Kurve mit weniger Jungen, noch immer mangelnder faktischer Durchlässigkeit in tertiäre Weiterbildungswege, steigenden Qualifikationsanforderungen der Betriebe und – vor allem in den Ballungsräumen im Osten – einem Imageproblem. Im Westen ist sie Renommee und Exportschlager – der Verpackungskonzern Alpla etwa exportiert das duale System nach China und Mexiko.

West-Ost-Gefälle

Für die Lehre bleibt in Wien dagegen oft, wer "nichts Besseres schafft". Was Eltern wiederum dazu treibt, Kinder durch die Matura zu peitschen. Mit dem Wegfallen der Hilfsarbeiterjobs durch fortschreitende Automatisierung bleibt zudem für den Lehrlingspool, wer früher nach der Pflichtschule arbeiten ging. So mögen sich auch die lauten Klagen der Unternehmen erklären, wonach Bewerber kaum über Basiskompetenzen verfügten und offene Lehrstellen nicht zu besetzen seien.

Aktuell bilden 27.448 Betriebe zusammen 90.366 Lehrlinge aus. In überbetrieblichen Lehrwerkstätten sind noch einmal 9.441 Jugendliche in Ausbildung. 5.000 sofort verfügbare Suchende stehen jetzt rund 4.300 sofort verfügbaren Lehrstellen gegenüber – die größten Anbieter sind Einzelhandel und Gastronomie.

Hausaufgaben für Firmen

Kein Wunder, dass Personalchefs schlecht schlafen. Allerdings müssen sie sich wohl auch die Frage gefallen lassen, warum immer weniger Unternehmen selbst Lehrlinge ausbilden, warum es mit Ausbildung und Qualitätskontrolle der Ausbildner und ihrer Aufgabe kaum weitergeht und warum die Berufsschulen keine laute Lobbying-Stimme in puncto besserer Ausstattung und Anschluss an die Digitalisierung (laut Gewerkschaft liegt die WLAN-Abdeckung der heimischen Berufsschulen weit hinter jener der Volksschulen) finden.

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Michael Pichler, Personalchef der Baumarktkette Obi, ruft in die andere Richtung: "Hören wir doch auf, die Jungen zu Tode zu testen. Uns sind die Lehrlinge längst abhandengekommen. Gehen wir in die Pflichtschulen und nehmen wir dort auch den Eltern die Angst vor der Sackgasse Lehre." Pichler ruft zum großen Umdenken auf Unternehmensseite auf: Betriebe müssten Lehre für Ältere ermöglichen und Lehre nach der Matura (wie in Deutschland üblich) forcieren.

Und was sagen die Lehrlinge selbst? Für mehr als zwei Drittel ist die Entscheidung für diesen Lebensweg jedenfalls finanziell begründet. Auch eine Aversion gegenüber der Schule spielt laut einer Befragung der Wirtschaftskammer häufig eine Rolle. Das sagen auch jene, die aktuell noch auf Stellensuche sind.

Zeitgemäße Berufe

Kürzlich fanden sich über 300 von ihnen im Wiener Hotel Hilton ein, um sich einem Bewerbungsmarathon zu stellen. Denn anzutreffen waren dort Vertreter von 18 Unternehmen, die noch zig offene Lehrstellen zu besetzen haben. Allein im Rewe-Konzern (Billa, Merkur, Penny, Bipa) sind es beispielsweise mehr als 200. Viele Jugendliche hatten bislang nur Enttäuschungen erlebt: Hunderte Bewerbungen, nur Absagen, oft auch gar keine Antwort. Ob die Lehre einen guten Ruf genießt, spielt für die Jugendlichen hier – viele Schulabbrecher, einige mit Fluchthintergrund – keine Rolle.

Laut Rewe-Sprecher Paul Pöttschacher liegt die Diskrepanz zwischen Angebote und Nachfrage auch an veränderten Interessen. Für manche Berufe gebe es kaum Bewerber. Rewe schaffe nun neue Anreize, bald würde etwa die E-Commerce-Lehre starten können.

Handlungsbedarf gibt es ausreichend: Noch immer machen von über 2.000 Lehrberufen traditionelle Favoriten das Rennen. An einem seiner letzten Tage im Amt verabschiedete Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner noch das "Lehrberufspaket": Acht neue bzw. modernisierte Berufsbilder mit Schwerpunkt Digitalisierung stehen ab Herbst zur Auswahl.(Karin Bauer, Lisa Breit, Lara Hagen, 22.5.2017)