Franz Koglmann mit Arbeitsutensil in Wien-Margareten: vom Free Jazz (u. a. mit Steve Lacy) hinüber ins Reich der Kompositionskunst.

Foto: Heribert Corn

Wien – Franz Koglmann hat sich als Jazzmusiker stets emphatisch zur Kunstmoderne bekannt. Als Trompeter und Flügelhornist verbindet er die Klangästhetik von Chet Baker und Miles Davis mit dem Kalkül avancierter Kompositionstechniken. Seine Musik ist dem Klangideal der zerebralen Eleganz und des Reduktionismus verpflichtet.

Am Montag feiert der Wiener seinen 70. Geburtstag mit einem Festkonzert im Radiokulturhaus: Trompeterkollege Stéphane Belmondo macht seine Aufwartung – beide Bläser verbindet die Liebe zur Melancholie Chet Bakers. Koglmann selbst wird in verschiedenen Kammerspielformaten musizieren. Im Standard-Interview äußert Koglmann sich zu:

Herkunft: "Da gibt es einen schönen Satz von Sigmund Freud: Die Freiheit des Menschen besteht darin, seine Herkunft zu verlassen. Das trifft auch auf mich zu. Ich stamme aus dem Arbeitermilieu. Die Mutter sang in einem Amateurchor, mein Vater, ein Elektriker, war sehr musikalisch, spielte aber kein Instrument. Musik war von größter Wichtigkeit; nur dass ich Musiker würde, darauf wäre in der Familie niemand gekommen. Kaum hatte ich die Buchbinderlehre begonnen, war ich auch schon am Konservatorium. Meinen Eltern zuliebe wurde ich 'Facharbeiter', habe den Beruf aber der Musik zuliebe sofort an den Nagel gehängt."

Freiheit: "Jazz war und ist für mich kein Synonym für Freiheit. Das ist mir zu politisiert gedacht, zu gesellschaftlich bewusst. Jazz trat in mein Leben, als ich 14 war, in Gestalt von Louis Armstrong oder Fatty George."

Militärmusik: "Mit der geriet ich wegen meines Präsenzdienstes in Berührung. Es gab noch keinen Zivildienst, und ich war leider tauglich. Ich meldete mich zur Gardemusik, weil Kollegen vom Konservatorium vor mir dort gewesen waren. Damit ich wenigstens nicht zu den Gebirgsjägern käme! Nach der Grundausbildung musste ich in Hietzing nur die Seite der Kaserne wechseln. Ich hatte ausgesprochen nette Kollegen dort, von denen einige später bei den Philharmonikern landeten oder beim Tonkünstlerorchester."

Blues: "Ich bin kein Bluesmusiker, und ich glaube auch nicht, dass der Blues 'in mir' ist. Ich habe den Blues bei meinem Lehrer am Konservatorium, Robert Politzer, gelernt. Mich hat die typische zwölftaktige Form stets weniger interessiert als die Verschiedenartigkeit der Songformen. Obwohl ich für mein neues Stück, die Variationen über Duke Ellingtons Solitude, sogar einen Blues geschrieben habe."

Faszination durch Berg

Dodekafonie: "Die Zweite Wiener Schule! Ich hatte vor langer Zeit einmal eine intensive Arnold-Schönberg-Phase und habe alles gehört, was es von ihm gibt. Musikalisch hat mich Alban Berg aber weitaus mehr fasziniert. Er weist über das Prinzip der Serialität hinaus. Den Serialismus der zwölf aufeinander bezogenen Töne habe ich sehr wohl benutzt: Der dritte Satz meiner Tanzmusik für Passstücke ist z. B. auf diese Weise komponiert. Die Fortsetzung davon, den Serialismus eines Pierre Boulez, habe ich nicht versucht, das hat mich nicht mehr interessiert. Ich bin bis heute der Meinung, die eigentlich wichtige musikalische Erscheinungsform des 20. Jahrhunderts ist der Jazz und nicht die Zweite Wiener Schule!"

Third Stream: "Es gilt das jüdische Sprichwort, wenn du dich zwischen zwei Alternativen nicht entscheiden kannst, entscheide dich für die dritte! Der Begriff (Anm.: die Verbindung von Jazz und Klassik) stammt von Gunther Schuller und war rasch interessant für US-Musiker wie Jimmy Giuffre und J. J. Johnson. Dann aber kam der Free Jazz, und der hat den Third Stream weggefegt. Expression und Unmittelbarkeit standen plötzlich viel höher im Kurs als die als akademisch verschriene Musik. Die wurde der Blutleere bezichtigt, wie vor ihr auch der Cool Jazz. Auch bei dem gibt es ja starke Affinitäten zu fortgeschrittenen Kompositionstechniken, man denke an eine Vorläuferfigur wie Bob Graettinger, den Arrangeur von Stan Kentons Orchester."

Ton: "Natürlich ist Klang das Um und Auf. Die großen Jazzsolisten hatten alle ihren persönlichen Ton, ob man nun an Coleman Hawkins oder an Miles Davis denkt. An einem solchen Ton arbeite ich heute noch. Mir hat eine Stiftung ein Cuesnon-Flügelhorn geschenkt, 'Monopole Conservatoires Paris'. Mit diesem legendären Modell hat sich mein Klang wieder etwas verändert, mein Ton ist dunkler und rauchiger geworden. Was wiederum mit einem Unfall zu tun hat, bei dem meine Zähne in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dadurch hat sich der Luftstrom verändert." (Ronald Pohl, 21.5.2017)