Julian Assange auf einem Archivbild vom Febraur 2016.

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Medienleute warteten vor der ecuadorianischen Botschaft in London auf Julian Assange. Doch der ließ sich nicht blicken. Immerhin wartet die Londoner Polizei mit einem Haftbefehl auf ihn.

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Kaum war am Freitag die Nachricht publik geworden, dass die schwedische Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren gegen Julian Assange eingestellt hat, strömten Scharen von Journalisten in eine kleine Londoner Seitenstraße zur Botschaft Ecuadors, wo der Netzaktivist seit fünf Jahren im selbstverhängten Hausarrest lebt. Die Reporter mussten bis zum Abend warten, bis der 45-Jährige auf den Balkon trat. Assange sprach von einem Sieg und beklagte seine "Inhaftierung ohne Anklage". Da seine rechtliche Lage ungeklärt bleibe, müsse er weiter auf die Freiheit warten. "Ich vergebe nicht, und ich vergesse nicht."

Das schwedische Ermittlungsverfahren ging auf einen Besuch Assanges im Sommer 2010 zurück. In Stockholm hatte er Sex mit zwei Frauen, die anschließend zur Polizei gingen. Von der Staatsanwaltschaft wurden die Beschreibungen der angeblichen Opfer als "minderschwere Vergewaltigung" sowie zweifache sexuelle Nötigung eingestuft; bei letzterem Delikt ist mittlerweile die Verjährung eingetreten, die bei der Vergewaltigung erst 2020 zum Tragen kommt.

Dennoch hat die Stockholmer Oberstaatsanwältin Marianne Ny nun die Einstellung des Verfahrens verfügt. Damit sei "kein Urteil über die Schuldfrage" gesprochen, beteuerte Ny. Es gebe aber keine Aussicht auf weitere Erkenntnisse. Im November war Oberstaatsanwältin Ingrid Isgren nach London gekommen, um den Beschuldigten zu befragen. Dabei dürfte der selbsternannte Vorkämpfer für die Datenfreiheit in Variationen Ähnliches gesagt haben wie in seiner unautorisierten Autobiografie: "Ich habe diese Frauen nicht vergewaltigt." Die sexuellen Begegnungen seien konsensual verlaufen.

Zwar hat Schweden nach der staatsanwaltlichen Entscheidung den europäischen Haftbefehl zurückgezogen. Gleichzeitig liegt gegen Assange aber ein Festnahmebeschluss der Londoner Polizei vor. Denn der Netzaktivist hatte gegen seine Auslieferungshaft Beschwerde eingelegt, war unter Auflagen freigekommen und hatte sein Verfahren bis zum Londoner Supreme Court gebracht. Als auch die Höchstrichter im Juni 2012 die Auslieferung für rechtens erklärten, entzog sich Assange der britischen Justiz und flüchtete in die Obhut Ecuadors. Dessen Präsident Rafael Correa gehört zu den schärfsten USA-Kritikern.

Scotland Yard muss nun entscheiden, ob weitere Ermittlungen gegen den Justizflüchtling der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Im Höchstfall würde Assange ein Jahr Haft drohen. "Der Krieg hat erst begonnen", sagte der Betroffene in Bezug auf die britischen Behörden.

Sorge vor Auslieferung

Assange verdächtigte Stockholm stets, ihn umgehend in die USA ausliefern zu wollen, wo ihm die Todesstrafe drohen könnte. Die US-Justiz hält den Australier für den Anstifter zu Chelsea (früher Bradley) Mannings Geheimnisverrat, für den die frühere Soldatin sieben Jahre einer 35-jährigen Haftstrafe verbüßte. Manning hatte die 250.000 diplomatischen Akten kopiert, die nach der Veröffentlichung durch Wikileaks 2010 weltweit für Aufregung sorgten. Dass sie am Mittwoch auf freien Fuß kam, könnte in Stockholm die Kehrtwende ausgelöst haben.

Viele einstige Weggefährten haben sich mittlerweile von dem Netzaktivisten abgewandt – nicht zuletzt wegen gezielter Leaks im US-Präsidentschaftswahlkampf, die Hillary Clintons Kampagne immer wieder Schaden zufügten. (Sebastian Borger aus London, 19.5.2017)