Die mexikanische Industrie profitierte laut Experten stark von Nafta.

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Wien/Washington – In der kanadischen Presse zirkuliert eine Geschichte darüber, wie Kanadas Premier Justin Trudeau das Handelsabkommen Nafta gerettet hat. US-Präsident Donald Trump stand demnach im April kurz davor, eine Executive Order zu unterzeichnen, um den Rückzug seines Landes aus Nafta anzuordnen.

Während die Hardliner im Weißen Haus auf diesen Schritt drängten, soll eine Gruppe von liberalen Trump-Beratern unter der Führung seines Schwiegersohns Jared Kushner eine vorsichtigere Herangehensweise empfohlen haben.

Kushners Umfeld informierte Trudeau über den Nafta-Ausstieg. Daraufhin rief Kanadas Premier Trump an und brachte ihn davon ab, Nafta sofort aufzugeben. Stattdessen sollte das Abkommen nachverhandelt werden.

Thema IT-Industrie

Seit Donnerstag ist das fix: Das Weiße Haus hat den Kongress darüber informiert, dass in 90 Tagen die Neuverhandlungen starten. Von den Tiraden Trumps, der im Wahlkampf Nafta als das "schlechteste Handelsabkommen" bezeichnete, das je geschlossen wurde, ist wenig übrig. Die US-Regierung verfolgt derzeit einen pragmatischen Zugang.

Die USA sind daran interessiert, Nafta mit einem Kapitel über die IT-Industrie auszustatten.

Nafta wurde 1994 geschlossen. Mit dem Vertrag wurden Zölle in Mexiko, den USA und Kanada für Industrie- und Agrareinfuhren abgeschafft. Vorschriften zu E-Commerce enthält das Abkommen nicht, die Industrie steckte damals in den Kinderschuhen.

Unternehmen aus dem Silicon Valley wie Facebook, Apple und Amazon drängen darauf, in die US-Handelsverträge für sie günstige Passagen aufzunehmen. Die Firmen wollen, dass von ihnen im Ausland gesammelte Produktdaten, von Handys oder in Zukunft von selbstfahrenden Autos, grenzüberschreitend genutzt und in die USA transferiert werden dürfen. Die IT-Industrie will zudem Zusagen, damit ihnen im Ausland nicht vorgeschrieben wird, wo sie elektronische Informationen archivieren müssen.

TPP vor der Hintertür

Laut einem Brief des Weißen Hauses an den Kongress will die US-Regierung solche Passagen in Nafta aufnehmen. Kanada, die USA und Mexiko haben sich bei diesem Thema bereits geeinigt: Das fertig ausverhandelte transpazifische Freihandelsabkommen TPP enthält ein Kapitel zur IT-Industrie. Dem Abkommen wollten unter anderem Japan, Australien, Vietnam sowie Mexiko, Kanada und die USA beitreten. Doch Trump kündigte den Vertrag auf. Er argumentierte, dass TPP US-Jobs vernichten werde.

Pierre Sauvé, der als Handelsexperte für die Weltbank in Genf arbeitet, geht davon aus, das Teile von TPP in Nafta mehr oder weniger 1:1 übernommen werden. Auch Passagen aus TPP, in denen eine Öffnung von Dienstleistungssektoren und der Abbau von verbliebenen Beschränkungen im Agrarsektor festgeschrieben werden, könnten übernommen werden. "Die US-Industrie mag diese TPP-Passagen sehr gern und wird darauf drängen, sie in Nafta wieder aufleben zu lassen", sagt Sauvé, der Nafta einst für Kanada mitverhandelt hat, zum STANDARD.

Schwieriger zu erfüllen sein werden laut Experten die Wünsche der US-Regierung zugunsten ihrer Industrie. Die USA wollen vor allem die "rules of origin", oder Herkunftsregeln, neu aushandeln.

Mexiko betroffen

Das sind oft komplexe Bestimmungen, die festlegen, wann ein Produkt als Nafta-Ware exportiert werden kann. Die Herkunftsregeln schreiben zum Beispiel fest, welcher Prozentsatz eines Autos in Mexiko hergestellt worden sein muss, damit der Pkw zollfrei in die USA ausgeführt werden kann.

Laut mexikanischen Diplomaten wollen die USA diese Regeln verschärfen, um damit die regionalen Wertschöpfungsketten in Nordamerika zu stärken.

Dieser Punkt ist für Mexiko heikel. Mexiko gilt als größter Nafta-Gewinner: Die Exporte in die USA lagen 1994 bei 50 Milliarden US-Dollar, heute sind es mehr als 300 Milliarden (270 Milliarden Euro). Nafta hat laut US-Ökonomen wie Gary Hufbauer Mexikos Industrie generell beflügelt, seit 1994 sind die Exporte des Landes um 600 Prozent gestiegen. Strenge Herkunftsregeln könnten dafür sorgen, dass mexikanische Produkte aus Nafta fallen. Eine solche Verschärfung könnte auch europäische Zulieferindustrie treffen. Die Nafta-Gespräche könnten ab Ende August beginnen. Sauvé schätzt, dass die Verhandlungen zwölf bis 18 Monate dauern könnten. (András Szigetvari, 19.5.2017)