Mitbegründer Constantin Seibt sieht die "Republik" als "Gegenmodell zum Versuch, immer effizienter Kosten und Reichweite zu optimieren".

Foto: Laurent Burst

"Wenn man zwei Artikel pro Tag schreiben muss, müsste man ein Genie auf Kokain in Form sein, um Vernünftiges zu liefern", sagt Seibt und will es anders machen.

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Wien – Es war ein Raketenstart: Innerhalb von 48 Stunden sagten 8.000 Unterstützer für das Schweizer Medien-Start-up republik.ch zu. Aktuell zählen die Zürcher Journalisten und Medienmacher mehr als 12.000 Abonnenten, die 2,7 Millionen Euro investierten.

Die Euphorie unter den Fans ist groß – Erwartungen, die freilich auch enttäuscht werden können. "Bis jetzt ging alles so schnell, dass wir noch nicht mal Zeit hatten, uns zu fürchten", sagt Mitbegründer Constantin Seibt im STANDARD-Interview. "Aber das kommt noch."

STANDARD: Sie versprechen mit der "Republik" "No-Bullshit-Journalismus" – wo sehen Sie denn Bullshit im konventionellen Journalismus?

Seibt: Ich sehe ihn darin, dass überall Arbeitsbedingungen geschaffen werden, in denen eigentlich nur Bullshit möglich ist – in den Tretmühlen der Onlineredaktionen. Wenn man zwei Artikel pro Tag schreiben muss, müsste man ein Genie auf Kokain in Form sein, um Vernünftiges zu liefern. Die Leute haben nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit, seriöse Arbeit zu machen. Sinkt die Zeit, die ich für die Arbeit habe, dann sinkt auch der Wert der Ware für die Leser.

STANDARD: Sie wollen das anders machen.

Seibt: Einer unserer Slogans heißt: Abonnieren Sie uns – wir liefern Ihnen weniger. Da wir kein Pflichtprogramm haben und nur ein bis drei Artikel pro Tag veröffentlichen, haben wir das Privileg, aber auch die Pflicht, etwas Vernünftiges zu liefern.

STANDARD: Von Ihrem Auftreten über Ihre Versprechen bis hin zum Namen des Mediums bekommt man den Eindruck: Es mangelt Ihnen nicht an Selbstbewusstsein. Täuscht das?

Seibt: Wir haben sehr grundsätzlich argumentiert. Eine funktionierende Demokratie braucht funktionierenden Journalismus – ohne vernünftige Informationen keine vernünftigen Entscheidungen. Wir haben auch versucht, als eigentlich kleines Unternehmen uns so zu positionieren, dass wir Großes leisten können – nicht viel, aber Großes. Es ist das Gegenmodell zum Versuch, immer effizienter Kosten und Reichweite zu optimieren. Insofern ja: Wir haben ziemlich viel Selbstbewusstsein, aber wir haben auch ziemlich viel Respekt vor der Verantwortung, die wir jetzt haben. Wir haben hektoliterweise Hoffnung verkauft, die wir nun über Jahre in kleinen Fläschchen zurückstottern müssen. 12.000 Leute vertrauen uns – wir dürfen sie nicht enttäuschen. Bis jetzt ging alles so schnell, dass wir noch nicht mal Zeit hatten, uns zu fürchten. Aber das kommt noch.

STANDARD: Sie haben 12.000 Abonnenten und 2,7 Millionen Euro gesammelt. Die Euphorie ist groß, wie sie es bei "Krautreporter" auch war – dort sind nach einem Jahr zwei Drittel aller Mitglieder abgesprungen. Wie wollen Sie das verhindern?

Seibt: Wir sehen unsere Leser als Verleger und behandeln sie auch so. Ich glaube, man hat eine Chance, wenn man versucht, Leser als Leser ernst zu nehmen. Sie müssen das Gefühl haben, dass das ihre Mannschaft ist, dass sie ehrlich informiert werden über Fehler, Vorhaben und Entscheidungen. Und von Zeit zu Zeit auch in eine Entscheidung einbezogen werden. Dann besteht die Chance, dass die Leser bleiben. Ob das dann so ist, das kann niemand vorhersagen. Bei "Krautreporter" sind 70 Prozent abgesprungen, bei "De Correspondent" waren es 40 Prozent – wir hoffen, unter 40 Prozent zu kommen.

STANDARD: Ein Abo kostet 220 Euro, das ist nicht nichts. Ist die "Republik" ein Elitenprojekt?

Seibt: Natürlich ist die Republik ein Elitenprojekt. Wir wollen nur die besten Leute einstellen. Wir haben schon ziemlich brillante Leute an Bord, und die Schweiz ist ja auch ein Land der Eliten: Es gibt sehr viele Leute, die in ihrem Beruf sehr gut sind: Handwerker, Beamte, Unternehmer. Es gibt keinen Grund, warum das im Journalismus nicht der Fall sein sollte.

STANDARD: Aber die Hürde auf der Leserseite ist mit 220 Euro recht hoch. Wenn Sie mit der Notwendigkeit des Journalismus für die Demokratie argumentieren ...

Seibt: Wir haben gesagt: Ihr habt eine Entscheidung zu treffen. Wollt ihr dieses neue Modell, und wollt ihr es finanzieren? Diese Entscheidung haben wir den Verlegern nicht leicht gemacht, indem wir wirklich einen substanziellen Betrag gewählt haben. Man kann aber, je nach eigener Lage, auch mehr oder weniger zahlen und einen fairen Preis nennen – man bekommt auch ein Abo für einen Franken, wenn man will.

STANDARD: Das hat aber kaum jemand gemacht.

Seibt: Das haben von 12.000 Leuten nur fünf gemacht. Über 90 Prozent der Leute haben genau diese 220 Euro gezahlt.

STANDARD: Sie bewerben die "Republik" als erfolgreichstes Journalismus-Crowdfunding der Welt – "El Español" in Spanien hat aber 2015 3,6 Millionen Euro gesammelt.

Seibt: "El Español" war ein Crowdinvestement – Investoren konnten also Aktien zeichnen. Das ist etwas anderes. Würde man bei der "Republik" die Investoren zu den Leserinnen dazurechnen, käme sie auf 6,5 Millionen.

STANDARD: Sie haben eine relativ strikte Paywall angekündigt – viele Medien haben Vorbehalte, hinter eine Paywall zu gehen, während alle anderen Inhalte gratis zur Verfügung stellen.

Seibt: Wir haben eine sehr strikte Paywall, aber die Artikel sind unendlich teilbar. Aus drei Überlegungen. Nummer eins: Was nicht viral geht, ist im Netz tot. Nummer zwei: Wir haben den Leuten politische Wirkung versprochen, nicht nur guten Journalismus. Nummer drei: Unsere Artikel sind unsere einzigen Werbeträger. Und die Leute kaufen auch nicht vorab ein Magazin, sondern sie kaufen sich eine Mannschaft, die für sie rennt, denkt, recherchiert. Und sie unterstützen die Institution Journalismus. Sie kaufen nicht Quantität, sondern wollen, dass der Job gut gemacht wird.

STANDARD: Sind schon alle Ihre Investoren bekannt?

Seibt: Das ist noch ein Problem. Wir sind ganz kurz vor dem Crowdfunding mit der Gründung der AG fertig geworden. Es haben noch nicht alle Aktionäre den sehr komplizierten Aktionärsbindungsvertrag unterschrieben. Aber spätestens im Herbst wird man alle Aktionäre bei uns auf der Homepage sehen. Da gibt es keine Geheimnisse mehr.

STANDARD: Wird es vielleicht manche Leute überraschen, wer dabei ist?

Seibt: Ich glaube, es wird sie eher enttäuschen, weil es sie langweilt. (Sebastian Fellner, 23.5.2017)