Begrünte Fassaden und Urban Gardening: Was es heute nur auf Renderings gibt, soll in den nächsten Jahren Wirklichkeit werden.

Visualisierung: Peretti + Peretti

Dort, wo früher schwarze Zuckerbrause abgefüllt wurde, soll nicht nur Wohnbau, sondern auch ein Großstadtdschungel entstehen.

Visualisierung: schreinerkastler.at

Ein Großteil des Coca-Cola-Areals ist bereits abgerissen und planiert. Wo einst schwarze Zuckerbrause in Flaschen abgefüllt wurde, soll in den kommenden Jahren, vis-à-vis der Wienerberg-City in Wien-Favoriten, ein grüner Großstadtdschungel mit rund 1000 Wohnungen entstehen. Die sogenannte Biotope-City, ein Vorzeigebeispiel ökologischen Bauens und Wohnens, geht auf eine Initiative des im Dezember verstorbenen Architekten Harry Glück und der niederländischen Stadtplanerin Helga Fassbinder zurück.

"Anders als in bisherigen Stadterweiterungs- und -verdichtungsprojekten spielt die Grünraumplanung hier keine untergeordnete, sondern eine zentrale, ja sogar essentielle Rolle", so Fassbinder. "Man könnte sagen, das Grün legt sich als größter gemeinsamer Nenner über alle 13 Bauplätze und Teilprojekte. Es geht um die Renaturierung der Stadt."

Geplant sind Gartenflächen, begrünte Fassaden, begrünte Atrien, begrünte Dächer sowie Loggien und Balkone mit Pflanzentrögen, wie dies Harry Glück bereits in seinen Wohntürmen in Alt-Erlaa in den Siebzigerjahren angewandt hatte.

"Ich sehe ein dicht begrüntes Stadtquartier mit Veitschi, Glyzinien und anderen Kletterpflanzen an den Fassaden, mit Flächen für Urban Gardening und einer gut vernetzten, stabilisierten Nachbarschaft", blickt Fassbinder in die Zukunft. Und zitiert dabei ihren einstigen Kollegen: "Harry Glück hat bei seinen Schwimmbädern auf dem Dach gesagt, das Wasser habe eine gemeinschaftsbildende Wirkung, denn in der Badehose seien alle Menschen gleich – vom Vorstandsdirektor bis zum Aushilfskellner. Beim Garteln ist es so ähnlich. Mit dem Unterschied vielleicht, dass die Wienerin von der anatolischen Immigrantin noch viel Wertvolles über Tomatenanbau lernen kann."

Unberührte Gstätten

Doch nicht nur klassische Begrünungsmethoden werden in der Biotope-City zum Einsatz kommen. Auch ungewöhnliche, im Wohnbau bislang unerprobte Maßnahmen sind geplant. So soll ein Teil des 5,4 Hektar großen Wohnparks etwa als unberührte Gstätten bepflanzt und dann sich selbst überlassen werden.

Andernorts wiederum werden sogenannte Rain-Gardens angelegt. Während sie bei Trockenheit grüne Wiese sind, sollen sie bei starken Regenfällen als Auffang- und Sickerflächen dienen. Auf diese Weise wird der Wasserabfluss reduziert und das städtische Kanalnetz entlastet.

"Mein ganz persönliches Highlight jedoch", sagt die Stadtplanerin, die die Konzeption und Koordination der Biotope-City als Forschungsprojekt begleitet – das Projekt wird von der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit 100.000 Euro gefördert – und die Resultate am Ende in Form eines Forschungsberichts Architektinnen und Bauträgern zur Verfügung stellen wird, "ist die Tatsache, dass hier zum größten Teil große, erwachsene Bäume eingesetzt werden sollen." Die heimischen Birken und Platanen sollen vom ersten Tag an eine unverwechselbare Atmosphäre schaffen, die sonst erst nach zehn, fünfzehn Jahren eintritt.

Zu den am Bau beteiligten Bauträgern zählen etliche gewerbliche Bauträger, die hier rund 300 bis 400 freifinanzierte Wohnungen errichten werden, sowie die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften Arwag, Gesiba, Wien Süd und Österreichisches Siedlungswerk (ÖSW). Insgesamt sollen hier in den kommenden Jahren 600 bis 700 geförderte Wohnungen entstehen. Ein Drittel davon – so sieht es der Wohnfonds Wien vor – als sogenannte Smart-Wohnungen mit besonders kleiner, kompakter Wohnfläche.

Schwimmbad auf dem Dach

Zur Ausstattung gehören ein begrünter, individueller Freiraum, Dachterrassen mit Hochbeeten für Urban Gardening sowie ein harryglückliches Schwimmbad auf dem Dach. Die Miete wird, abhängig von Bauplatz und Bauträger, bei 6,90 bis 7,90 Euro pro Quadratmeter liegen. Die erwähnten Smart-Wohnungen zeichnen sich durch einen besonders günstigen Eigenmittelanteil in der Höhe der üblichen 60 Euro pro Quadratmeter aus.

"Im Vordergrund dieses Projekts steht die Freiraum- und Fassadenbegrünung, und daher endet unser Bauplatz auch nicht an der Fassade, sondern geht weit darüber hinaus", sagt der Wiener Architekt Rüdiger Lainer. Gemeinsam mit Harry Glück, Peretti & Peretti und HD Architekten ist er für die Planung der geförderten Wohnungen zuständig. "Ein großer Bestandteil unserer Planung ist die Koordination mit den anderen Architekten sowie mit den Landschaftsarchitekten, Biologen und Wasserwirtschaftlern. Das ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die kein Lippenbekenntnis ist, sondern die ihren Namen auch wirklich verdient."

Trotz aller Experimente und Zugeständnisse an Mutter Natur werde die Freiraumplanung in der Biotope-City keinen Cent mehr kosten als bei jedem anderen Stadterweiterungsgebiet, meint Helga Fassbinder. Das Geheimnis hinter diesem hehren Anspruch: "Es geht in erster Linie um einen Paradigmenwechsel in der Planung. Dazu gehört auch, dass man keinen Trends und Moden folgt", so Fassbinder, "denn diese sind teuer. Wir greifen, wenn Sie so wollen, auf die Vorjahrskollektion zurück, die längst out ist."

Aktuelle Ausstellung

Derzeit ist in der Gebietsbetreuung Favoriten eine Ausstellung über die geplanten Wohnungen und die ungewöhnliche Freiraumplanung zu sehen. Für die Wiener Planungsstadträtin Maria Vassilakou, die die Ausstellung vor zehn Tagen eröffnete, ist die Biotope-City ein wertvoller Beitrag, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.

"Daher appelliere ich an Architekten und Bauträger, sich an diesem Stadtteilprojekt ein Beispiel zu nehmen", so Vassilakou im Gespräch mit dem Standard. "Mein Ziel ist es, die hier gewonnenen Erkenntnisse zu verankern – sei es in Form von Empfehlungen, sei es in Form von Bestimmungen, die auf die eine oder andere Weise in die Wiener Bauordnung oder in die Kriterien der Wohnbauförderung einfließen werden." (Wojciech Czaja, 23.5.2017)