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Unter massivem Druck: Michel Temer.

Foto: REUTERS/Ueslei Marcelino

Michel Temer kämpft – um sein Amt, seine Ehre, um Gerechtigkeit. Das verkündet er seit dem Auftauchen abgehörter Tonbänder und dubioser Geldkoffer täglich in den brasilianischen Medien. "Ich werde nicht zurücktreten. Dann müssen sie mich stürzen!" Er habe keine Antikorruptionsermittlungen behindert und schon gar kein Schweigegeld zahlen lassen, betont der rechtskonservative Präsident – und leugnet damit das Offensichtliche.

Vergangene Woche wurden Tonbandaufnahmen veröffentlicht, in denen der Chef des weltweit größten Fleischkonzerns JBS, Joesley Batista, dem Präsidenten von Schweigegeldzahlungen und Bestechungen erzählt. Temer schweigt, als sei alles normal – und bestärkt dann Batista sogar weiterzumachen.

Zehntausende skandieren: "Weg mit Temer"

In den meisten der 26 Bundesstaaten gehen seit Wochen Zehntausende auf die Straße. "Weg mit Temer", skandieren sie. Während in São Paulo die Gewerkschaften zu den Protesten aufgerufen haben, ist das Bild in anderen Städten bunt gemischt. Ironie der Geschichte: Es sind zum Teil die gleichen Leute, die vor einem Jahr noch eine Amtsenthebung der linksgerichteten Dilma Rousseff forderten. Und es war Temer, Rousseffs Ex-Vize, der dann mit dem Ruf nach "Kampf gegen Korruption" an die Macht kam.

Jetzt wird auch dem Gutgläubigsten klar, wie tief die liberalkonservative Regierungspartei PMDB in die Skandale verwickelt ist. Und es gibt auch deutliche Hinweise darauf, dass sie die Ermittlungen bei Staatsanwaltschaft und Oberstem Gerichtshof verhindern wollte. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot zeigt sich bisher unbeeindruckt: Es gebe mindestens 15 Vorwürfe, die die Eröffnung eines Verfahrens rechtfertigten. Dazu gehören Bestechung, Korruption, Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Organisation. Neben dem heimlich aufgenommenen Gespräch von Batista gebe es weitere Abhörprotokolle und Zeugenaussagen.

Rückkehr zur Militärdiktatur

Also ein Amtsenthebungsverfahren gegen Temer? Doch viele Menschen fragen sich, was danach kommt. Gegen zwei Drittel der Mitglieder des Kongresses laufen Korruptionsermittlungen. Die Abgeordneten wollen direkte Neuwahlen verhindern, weil sie dann ihre Immunität und ihr Amt verlieren würden. Somit gilt ein langwieriges Amtsenthebungsverfahren als wahrscheinlich.

Immer wieder sind bei Protestkundgebungen auch Rufe nach einer Rückkehr zur Militärdiktatur zu hören, die erst 1985 zu Ende ging. In Umfragen potenzieller Präsidentschaftskandidaten liegt der Abgeordnete Jair Bolsonaro auf dem zweiten Platz: Der Rechtsnationalist tritt offen für die Rückkehr der Folterknechte ein, beschimpft Homosexuelle und rechtfertigt sogar Vergewaltigungen. In der brasilianischen Polit- und Wirtschaftskrise gewinnen damit radikale und sogar faschistische Kräfte an Zuspruch.

Lula weiter Favorit

Als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat gilt allerdings nach wie vor Ex-Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva. Ob er überhaupt antreten kann, ist aber völlig unklar: Auch gegen ihn laufen ein halbes Dutzend Korruptionsverfahren. Viele Beobachter rechnen mit einer Anklage im Zusammenhang mit der Affäre um Batistas Fleischkonzern JBS. Es ist nicht nachgewiesen, dass Rousseff oder Lula direkt involviert waren – aber zumindest werden sie davon gewusst haben. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 22.5.2017)