Wien – Brütend heiß ist es unter den drei bunt erleuchteten Kuppeln des Aufblas-Hamam, den die Festwochen dem Publikum in einer der Hallen ihres Favoritener Performeums zur Verfügung stellen. Seine Benutzung ist gut verträglich für diskursoffene Saunierer. Wer aber an das Zusammenschwitzen von Haut und Denken nicht gewöhnt ist, sollte ein wenig auf den eigenen Kreislauf achten.

Die Gummiglocken mit der Bezeichnung Hamamness betritt man in Badekleidung, Pantoffeln und Pestemal, dem traditionellen Tuch für das türkische Bad Hamam. Zur Erinnerung: Der Hamam ist eine im Mittelalter entstandene Variante der älteren griechisch-römisch-byzantinischen Badekulturen. Bei den Festwochen darf unter Hamamness (von "Hamam" und "Wellness") das Reenactment eines Schwitzbads – Waschungen und Körperbehandlungen gibt es auf Wunsch – mit Diskurs-"Aufgüssen" verstanden werden.

Bis zum zweiten Juni-Sonntag wird die bereits 2015 in Hamburg erprobte Hamamness unter vier thematischen Programmen betrieben. Das erste, "Don't B/Other Me", ist bereits gelaufen, die weiteren sind: "Queering Knowledges" (ab 25. 5.), "Gender Jihad" (ab 1. 6.) und "Kollektive Melancholie" (ab 8. 6.). Geöffnet ist jeweils vier Abende hindurch von 18 Uhr weg, und man sollte sich Zeit nehmen, denn unter den Kuppeln geht es entspannt zu. Eine Massage oder etwas Shijatsu nach Eintritt ist keine schlechte Idee, eine Waschung mit viel Schaum vom Tellak (Bademeister) schon gar nicht.

Morgenland-Stereotyp

Zu den Diskurs-Aufgießerinnen des ersten Themas zählten vergangenen Freitag die Wiener Soziologin Dina El Najjer und die Berliner Redakteurin Hengameh Yaghoobifarah. Unauffällig war auch die deutsche Hamamness-Kuratorin Nuray Demir präsent. Irgendwann im Lauf des Abends begann El Najjer zu sprechen. Für "Don't B/Other Me" hatte sie sich das Thema "Orientalismus und bildende Kunst" ausgesucht und stellte eine kleine Kunst- und Kulturgeschichte des westlichen Stereotyps vom Morgenland dar.

Hengameh Yaghoobifarahs Thema war ein Plädoyer gegen die Verachtung von Körpern, die der gängigen Schönheitsnorm nicht entsprechen. Hinter der permanenten Propaganda gegen das Dicksein, für Fitness oder gegen das Rauchen sieht Yaghoobifarah einen Anpassungszwang an das Ausbeutungssystem des Neoliberalismus. Über mediales und soziales "Body-Shaming" werde Druck auf alle ausgeübt, die diese Normierung ignorieren. Ein gutes Mittel dagegen sei es, den eigenen Körper so lieben zu lernen, wie er eben ist.

Dieses Thema verband Yaghoobifarah mit Gender- und Rassismusdiskursen, denn die Ausgrenzung des Anderen, im Diskursslang "Othering" genannt, gelte ebenso für Geschlechternormen und die sogenannten "Fremden". Außerdem habe die Körpermasse nichts mit der Gesundheit eines Körpers zu tun, wie etliche Studien belegten.

Auf beide Themen ist das Publikum am Freitag in der gut besuchten Hamamness bereitwillig angesprungen, die Debatten verliefen nur zum Teil kontroversiell.

Eine Körperbehandlung während eines Vortrags ist übrigens ein feines Erlebnis, doch in dessen Intensität verflüchtigen sich die Worte. Aufmerksamkeit ist eben nicht gut teilbar. Die Wärme der Umgebung allein schadet der Konzentration weniger.

Der Aufwand lohnt

Es fragt sich bloß, ob der beträchtliche Aufwand für diese immersive Installation überhaupt lohnt, wenn darin nur einfache Lectures mit Diskussion und eventuell kleine Performances stattfinden.

Die Beobachtung ergibt: Ja. Weil die Atmosphäre, in der eine Auseinandersetzung stattfindet, wohl ähnlich wichtig ist wie deren Thema und der Stil ihrer Ausführung. Vorbilder dafür gibt es: Beim vorjährigen Steirischen Herbst etwa fanden die Diskursveranstaltungen in einer frischen Garteninstallation statt. Die Festwochen haben sich nun für ein Schwitzbad entschieden. (Helmut Ploebst, 22.5.2017)