Die Module des Schweizer Start-ups Anerdgy vereinen nicht nur Solar- und Windkraft auf dem städtischen Hausdach. Sie sollen auch den Platz für Dachbegrünung, Terrassen und weitere Infrastruktur freimachen.

Foto: Anerdgy

Zürich – Antennen, Lüftungsrohre, Klimaanlagen, ein Lifthäuschen oder ein Stiegenaufgang: Die Flachdächer großer Büro- oder Wohngebäude sind oft darauf beschränkt, Gebäudetechnikelemente zu beherbergen. Sie sind der Ort, wohin man Techniker schickt oder wo man heimlich eine Rauchpause einlegen will. Sie sind aber oft kein einladender Ort.

Eine ganze Reihe ökologisch orientierter Trends zielt auf eine Belebung dieser funktionalen Dachwüsten ab. Grün sollen die Dächer werden. Sie sollen Heimat von Bienen und Insekten sein. Sie sollen ein Ort sein, an dem erneuerbare Energie generiert wird. Und dann sollte natürlich noch eine Terrasse da sein, um die begrünte Aussicht zu genießen.

Nutzungsmöglichkeiten von Dächern erweitern

Der Schweizer Erfinder Sven Koehler hat sich über die vielfältigen Anforderungen, die auf die städtischen Hausdächer einprasseln, Gedanken gemacht. Als Gründer des Zürcher Start-ups Anerdgy entwickelte er eine multifunktionale Vorrichtung, die die Nutzungsmöglichkeiten der Dächer stark erweitern soll.

Sein Wind-Rail-System ist eine Art vielseitiges Schweizer Messer für das Dach: Solarpaneele und eine Windturbine erzeugen Strom, Solarthermie optional auch Warmwasser. Die Konstruktion dient als Dachbegrenzung, als Anknüpfungspunkt für die Fassadenbegrünung, als Blitz- und Fallschutz. Man kann darauf Wetterstationen, Bienenhäuser, Regenwasserspeicher, Licht oder Gebäudetechnik unterbringen.

Der Bedarf an einem derartigen System wurde ihm bei der Arbeit für eine Baugenossenschaft klar. "Konzepte, die sowohl der Begrünungspflicht von Dächern in Zürich als auch der Forderung nach erneuerbaren Energie Rechnung tragen, gab es nicht", sagt Koehler. Sein Konzept verlagert Infrastruktur und Energieerzeugung an die Dachkante, sodass in der Mitte Raum für Terrassen und Begrünung bleibt. Die Dachflächen sollen damit aufgeräumter werden.

Die an den Flachdachkanten positionierten Module sind in einem optimierten Winkel nach schräg unten ausgerichtet. Hier nehmen sie die eingehende Windströmung auf und führen sie durch einen rundum verbauten, etwa metergroßen Rotor. Die dachnahe, integrierte Konstruktion soll gemeinsam mit einer Steuerung, die die Turbine laufend dynamisch an die Wetterbedingungen anpasst, dafür sorgen, dass wenige Verwirbelungen, Vibrationen und Geräusche entstehen. Die durchströmende Luft kühlt nebenher die außen angebrachten Photovoltaikpaneele und erhöht so deren Energie-Output. Durch die Verbauung sei auch Eiswurf durch die Rotoren kein Thema.

Ästhetik und Funktionalität

Koehler verweist auf 10.000 Simulationsstunden, die bereits in dem Konzept stecken. "Wichtig ist zu verstehen, dass die Energieerzeugung ein wichtiger Aspekt von Wind Rail ist, aus Sicht des gesamten Gebäudesystems aber nicht an erster Stelle steht", betont der Erfinder. Die ästhetischen und funktionalen Erfordernisse des Hausdachs gehen für ihn vor. Typischerweise könnten mit den Dachmodulen, die mit Hausspeichern kombiniert werden können, 20 bis 30 Prozent des Energiebedarfs eines Wohngebäudes abgedeckt werden, bei Bürogebäuden seien es eher zehn bis 20 Prozent.

Koehlers Module werden zurzeit neben einer Schweizer Testanlage auf einem Berliner Hausdach erprobt. Dort habe sich gezeigt, dass die Angst vor Vibrationen und Lärm, die oft mit Windkraftanlagen auf Hausdächern einhergeht, unbegründet sei. "Die Hausbewohner schlafen zum Teil zwei Meter unter den Anlagen. Es würde nicht gehen, wenn sie etwas hören", betont Koehler. Nur als die Steuerung ausgefallen ist, führte das dann tatsächlich zu einer Lärmbelästigung. "Das sollte nicht passieren. In so einem Fall müssen die Rotoren automatisch angehalten werden. Dennoch war das für uns ein wichtiger Input", verweist der Erfinder auf die Erfahrungen der Testanlage.

Das System soll sich nicht nur durch den Energieoutput rechnen, sondern auch durch weitere Funktionalitäten: Da es Blitz- und Fallschutz oder Teile der Kiesflächen ersetzt, könnten diese Kosten eingespart werden. Insgesamt peilt Koehler ähnliche Amortisierungszeiten wie bei herkömmlichen Photovoltaikpaneelen an, die etwa bei zehn Jahren liegen.

Im Moment werden die Testerfahrungen aus Berlin noch in das finale System eingearbeitet. Zudem wird an der industriellen Umsetzung getüftelt. 2018 soll das Produkt verfügbar sein. Ab dann könnten immer öfter multifunktionale Dachwerkzeuge an den Gebäudekanten sitzen. (Alois Pumhösel, 25.5.2017)