Kaum ein Top-Manager ist binnen so kurzer Zeit so tief gestürzt wie er. Vor zwei Jahren sonnte sich Martin Winterkorn noch in den Erfolgen einer Rekordjagd, die kein Ende zu nehmen schien. Doch schon wenige Wochen nach seinem Rücktritt wegen der Abgasaffäre im September 2015 war für "Mr. Volkswagen" nichts mehr wie vorher. Und auch zum 70. Geburtstag am 24. Mai dürfte dem Ex-VW-Chef nicht unbedingt nur nach Feiern zumute sein.

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"Wie konnte so etwas passieren?", haderte Winterkorn im Jänner halb trotzig, halb demütig im Diesel-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Es war ein Spießrutenlauf für den Gefolgschaft gewöhnten früheren Lenker des Wolfsburger Autoimperiums. Abgeordnete löcherten ihn mit Fragen zum Ursprung des millionenfachen Stickoxid-Betrugs.

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Winterkorn beteuerte, vor dem öffentlichen Bekanntwerden des Skandals nichts von illegalem Tun gewusst zu haben. Am Ende aber musste er seine fast neunjährige Amtszeit an der Spitze des größten deutschen Industriekonzerns rechtfertigen: Er habe eben zu akzeptieren, dass sein "Name verbunden ist mit der sogenannten Dieselaffäre".

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Der Schatten, der infolge zwischenzeitlicher Milliardenverluste, immenser Strafgelder und Risiken für den Ruf der gesamten Autobranche nun auf der Ära Winterkorn liegt, ist nicht wegzudiskutieren. Dass es zu solch einem Erdrutsch kommen würde, hätten sich selbst VW-Kritiker vor eineinhalb Jahren nicht vorstellen können. Aus dem Unternehmen heißt es, die Leistungen des einstigen Chefs dürften jedoch nicht vergessen werden. Unter ihm seien beispielsweise mehr als 140.000 neue Jobs entstanden, Umsatz und Ergebnis hätten sich verdoppelt.

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"Wiko" – wie er intern vom Bandarbeiter bis zum Vorstandskollegen locker-ehrfürchtig genannt wurde – war ein gefeierter Star in der deutschen Wirtschaftselite. Und lange auch der mit Abstand am besten verdienende Manager aller im deutschen Aktienindex Dax notierten Konzerne. Jahresgehälter von bis zu 17 Millionen Euro und eine Pension von üppigen 3.100 Euro pro Tag entfachten die Debatte um raffgierige Führungskräfte neu.

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Die Belegschaft ließ allerdings meist nichts auf ihren Chef kommen. Winterkorn pflegte einen engen Draht zum Betriebsrat, war ungeachtet des Zitterns vieler Ingenieure und Designer vor seinem Urteil insgesamt hoch anerkannt. Das hatte auch mit Begeisterung für "sein" Unternehmen VW zu tun. Der Workaholic stand um 5.00 Uhr auf, erst jede Menge Briefings, nach zig Besprechungen gab er grünes Licht für ein neues Modell, mittags zum Test nach Schweden, abends ins Flugzeug zum nächsten US- oder China-Termin – so sahen Arbeitstage oft aus.

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Wer wollte es ihm da missgönnen, nach stressigen Messeauftritten Zigarre schmauchend zu entspannen oder viel Geld anzuhäufen? Jahr für Jahr häuften er und sein Team schließlich auch Gewinne für VW an. Bis die Maschine heiß lief. Und im Nachhinein der Eindruck entstand, jene Sucht nach Wachstum könnte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass man die US-Diesel-Offensive nur mit Lug und Trug umsetzen konnte.

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Auch die Kehrseite einer Befehl-und-Gehorsam-Mentalität wurde unter dem Brennglas von "Dieselgate" deutlicher. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller predigt mehr Transparenz, weniger Zentralismus und eine offene Kritikkultur. Niemand müsse vor dem Chef kuschen. Der Vorgänger entgegnet, es habe "kein Schreckensregime" bei ihm gegeben.

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Ein Widerspruch, der aber sogar Verfechter des Winterkorns-Kurses von ihm abrücken ließ: Im Reich des Technik-Freaks gedieh offenbar ein Netzwerk von Tricksern und Täuschern. Die bisherigen US-Ermittlungen ergaben, dass dies wohl unterhalb der höchsten Leitungsebene ablief. Dennoch ist der Schaden enorm. "Dass ein Einsatz verbotener Software ausgerechnet in unseren Motoren passiert, muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen", sagte Winterkorn im Deutschen Bundestag. "Das geht mir genauso."

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Der Hobby-Fußballer und FC-Bayern-Aufseher stammt aus einfachen Verhältnissen. Als Sohn eines Arbeiters und einer Hausfrau wurde Winterkorn 1947 in Leonberg bei Stuttgart geboren. Nach dem Studium der Metallphysik und der Promotion begann seine Laufbahn 1977 bei Bosch. Vier Jahre darauf folgte der Wechsel zu Audi, wo er früh im Dunstkreis des späteren VW-Vorstands- und -Aufsichtsratschefs Ferdinand Piech arbeitete, ab 1988 als Leiter der Qualitätssicherung. 2002 wurde Winterkorn Audi-Chef, 2007 gelangte er an die VW-Spitze. (Links im Bild: der deutsche Bundesaußenminister Sigmar Gabriel)

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In Wolfsburg blieb der zweifache Vater erfolgreich, baute den Konzern zu einer Zwölf-Marken-Gruppe aus. Manche Aktionen waren legendär. "Da scheppert nix", befand Winterkorn 2011 auf der Automesse IAA über die Lenkradverstellung eines Hyundai, an der er am Stand der Südkoreaner heimlich rüttelte. Die Szene wurde aber gefilmt und berühmt durch ein Youtube-Video, sie sagt einiges aus über den detailversessenen Mann. Seinen Traum, die VW-Gruppe zum Absatz-Weltmeister zu machen, erlebte er nicht mehr im Dienst: Erst 2016 überholte man den Konkurrenten Toyota.

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Mehr noch dürfte Winterkorn indes das Zerwürfnis mit Intimus Piëch wurmen. Der Oberkontrolleur und sein Vorstandschef galten lange als Traumduo der Autoindustrie. Wegen der Rückendeckung durch Piëch war "Wiko" unantastbar, allenfalls die schwache Rendite der VW-Kernmarke stieß auf etwas Kritik. Piëch habe die Visionen, "und ich garantiere, dass die Autos dann auch funktionieren", beschrieb Winterkorn die Rollenverteilung. Doch dann kam es im Frühjahr 2015 nach einer bis dato undenkbaren Interview-Äußerung des Ziehvaters ("Ich bin auf Distanz zu Winterkorn") zum Bruch. Zunächst entschied Winterkorn das Kräftemessen für sich. Aber es halten sich Gerüchte, Probleme in den USA seien schon damals Ursache für den Affront des Mentors gewesen.

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Diese könnten den Jubilar womöglich noch einholen. Im Winter weitete die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Ermittlungen gegen Winterkorn vom Verdacht der Marktmanipulation auf den des Betrugs aus. In seinem Haus und Büro fand nach dpa-Informationen eine Razzia statt. Es gebe Indizien dafür, dass er "früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis von der manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte". Auch Stuttgarter Staatsanwälte ermitteln wegen Marktmanipulation

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"Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben." Den Satz aus Winterkorns Abschiedsbotschaft an die Mitarbeiter mag man glauben, der Schmerz über das Dieselchaos traf den Perfektionisten hart. Ob er sich aber wirklich "keines Fehlverhaltens bewusst" war – das wird sich zeigen. (apa, dpa, 24.5.2017)

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