Eigentlich müsste in diesem Sommer endlich ein Frieden sein. Der perfekten Bikinifigur hinterher zu hecheln, das ist so von gestern, wiederholt die Werbung seit einigen Saisonen. Und das mit erstaunlicher Vehemenz. Stattdessen heißt es jetzt: Ihr seid schön so wie ihr seid.

Demnach muss die Modeindustrie Jahrzehnte lang einem Irrglauben aufgesessen sein. So lange propagierte sie "90-60-90", perfekte junge Astralkörper mit Apfelpo und schmalem Bizeps. Jetzt hat sie diese Verrenkungen plötzlich nicht mehr nötig. Orangenhaut und Besenreißer, breite Becken, wackelige Bäuche? Tun der inneren und äußeren Schönheit keinen Abbruch. Wer das nicht glaubt, ist selber schuld.

Das skandinavische Label Weekday verliert über die Auswahl seiner Models in der aktuellen Bademodenkampagne kein Wort – zum Glück!
Foto: Weekday

Auf diesen Zug setzen sogar Unternehmen auf, die lange keine Skrupel hatten, gut gelaunte, konventionelle Models geschmacksbefreite Mode verkaufen zu lassen. Für das spanische Label Desigual darf zum Beispiel plötzlich das britische Model Charli Howard ihren Hintern in die Kamera strecken. Unretuschiert, wohlgemerkt!

Howard ist natürlich nicht irgendein Model. Die Mittzwanzigerin ist erklärte Körper-Aktivistin, sie hat im letzten Jahr die Kampagne "All Woman Project" (Hashtag #iamallwoman) initiiert, um die üblichen Schönheitsstandards (Apfelpo und schmaler Bizeps) in Frage zu stellen.

Nun steht sie pünktlich zur Bikini-Saison wieder parat. Firmen wie Desigual holen mit ihrem neuen Werbe-Mantra die Frauen (und zwar ausschließlich die Frauen!) da ab, wo es noch immer weh tut. Dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper noch lang nicht überwunden ist, thematisiert aktuell der Dokumentarfilm "Embrace" der australischen Regisseurin Taryn Brumfitt. Er diskutiert das verzweifelte Ringen von Frauen (ja, ein "Frauenfilm"!) um Bizeps, Kilos, Kleidergrößen.

KinoCheck

Diese Verunsicherung wird zuallerletzt die Werbeindustrie mit ihrer neuesten Masche aus dem Weg räumen. Die pralle Inszenierung des weiblichen Körpers folgt da schließlich ähnlichen Kriterien wie die der konventionellen Bohnenstangen.

Bleibt nur noch die Frage: Wann endlich werden dicke Männer in Badehosen sichtbar gemacht? Das wäre doch echt angebracht. (feld, 25.5.2017)