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Sebastian Kurz

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Emmanuel Macron

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Emmanuel Macron lieferte kürzlich ein vielversprechendes Erfolgsmodell, Sebastian Kurz versucht sich aktuell an dessen Blaupause. Während die traditionellen "Lagerparteien" nach langer Krankheit vielerorts endgültig im Sterben liegen, bahnen sich alternative Repräsentationskonzepte den Weg in die Schaltstellen der Macht.

Als Macron, vormals unter anderem Wirtschaftsminister im Kabinett von Premier Manuel Valls, vor wenigen Wochen die Stichwahl um das Präsidentenamt klar für sich entscheiden konnte, war die Erleichterung auch außerhalb Frankreichs mehr als nur spürbar. Ein Sieg der rechtsextremen Proponentin Marine Le Pen hätte vielleicht das Ende der EU bedeutet und selbst den Brexit in seiner spaltenden Symbolik klar in den Schatten gestellt.

Vorwärts Frankreich

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass sich ein Le Pen Chancen auf das höchste Staatsamt ausrechnen durfte. Bereits 2002 schaffte es Jean-Marie in die zweite Runde, um dort jedoch vom parteiübergreifenden Bündnis rund um den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac an der Urne zerschmettert zu werden. Dass dem Front National auch 15 Jahre später der Zutritt in den Élysée-Palast verweigert wurde, ist jedoch im Gegensatz zu damals weder den regierenden Sozialisten, noch den Konservativen zu verdanken. Während Erstere mit François Hollande die Bürde des "unbeliebtesten Staatschefs in Frankreichs jüngerer Geschichte" ("Zeit Online", 25.10.2016) zu tragen hatten, nahm sich der Kandidat der "Republikaner" durch einen Scheinbeschäftigungsskandal praktisch selbst aus dem Spiel.

Als letzte Bastion gegen das endgültige Systemversagen blieb am Ende nur mehr Macron übrig, der mit seiner erst im April 2016 gegründeten und kürzlich umbenannten sozialliberalen Bewegung "La République en Marche" nun auch gute Chancen hat, bei den bevorstehenden Parlamentswahlen (11. und 18. Juni) zu reüssieren. Sollte der Initiator des höchst unkonventionellen Politikprojektes dann tatsächlich eine parlamentarische Mehrheit hinter sich scharen können, wäre das jedenfalls ein absolutes politisches Erdbeben und gleichzeitig ein Neuanfang für das verkrustete Parteiensystem der Fünften Republik.

Überraschende Nachahmer

Der vor einigen Monaten noch undenkbare Erfolgslauf von Macrons "Start-up"-Bewegung schien in Folge auch in Österreich auf Interesse gestoßen zu sein. Zwar bewiesen bereits einige, ursprünglich als "Bürgerbewegung" konnotierte Projekte (Grüne/Neos), dass hierzulande auch abseits der traditionellen drei Lager (ÖVP/SPÖ/FPÖ) ein gewisses Wählerpotenzial vorhanden ist – allerdings scheint es doch überaus bemerkenswert, welche Schlüsse ausgerechnet die greise ÖVP mit Blick auf die Aufbruchsstimmung in Frankreich gezogen hat.

Seit 1945 strukturell praktisch vollkommen unverändert, vollzogen die Konservativen nach dem sich schon länger anbahnenden Abschied Reinhold Mitterlehners von der Parteispitze eine plötzliche 180-Grad-Wende. Nicht nur, dass jene Partei, deren Wählerklientel grundsätzlich vor allem aus älteren Männern besteht, den erst 30-jährigen Kurz zum neuen Parteiobmann kürte – diese Personalentscheidung galt schon lange als abgemacht. Vielmehr überrascht die Tatsache, mit welchen umfangreichen Kompetenzen der Parteivorstand seinen jungen Zögling bedacht hat.

Personelles Vakuum

Das personelle Vakuum innerhalb der ÖVP-Führungsriege scheint momentan derart ausgeprägt zu sein, dass sich Österreichs Außenminister im lediglich inszenierten Verhandlungspoker mit Machtbefugnissen bereichern konnte, welche einem Alleinherrscher ähneln. Was vor wenigen Wochen noch absolut lächerlich angemutet hätte, die Umbenennung der ÖVP in "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei", wurde schließlich am 14. Mai Realität, gemeinsam mit sechs weiteren gewichtigen Forderungen.

Zwar ist der Vergleich mit der Strategie Macrons insofern fehlleitend, als dass die von Kurz ins Leben gerufene Bewegung sowohl strukturell als auch finanziell und teilweise sogar personell von der ÖVP getragen wird. Dennoch versucht die Partei offenbar mit allen Mitteln, ihr antiquiertes Antlitz abzuschütteln, selbst wenn das den Verlust der seit vielen Jahrzehnten aufgebauten eigenen Identität bedeutet.

Keine andere Wahl

Wie konnte es soweit kommen, dass sich die gesamte ÖVP-Führung so offenkundig selbst demontieren und ihre politische Zukunft einzig und allein in die Hände eines ihrer Nachwuchstalente legen musste? Das fragen sich momentan freilich viele der rund 500.000 eingetragenen Parteimitglieder. Die Antwort ist einfach: Weil sie keine andere Wahl hatte! Die "Volkspartei" hat es, gemeinsam mit ihrem roten "Lieblingsfeind", viel zu lange verabsäumt, sich mit den wirklichen Problemen der globalisierten Welt auseinanderzusetzen und sich stattdessen über die Jahre fast vollkommen von Problemen ihrer Kernschichten entfremdet. Einzig und allein Kurz hat – egal, wie man über ihn und seine politischen Positionen auch immer denken mag – zumindest immer Klartext gesprochen, weshalb ihm von verschiedensten Umfragen stets sehr hohe Sympathie- und Glaubwürdigkeitswerte attestiert wurden.

Im Gegensatz zu Macrons tatsächlicher Bottom-up-Bewegung, ist die Liste Kurz jedoch lediglich ein symbolischer Hilferuf nach einer grundlegenden Neuausrichtung einer eigentlich todkranken Partei, welche damit ihr endgültig letztes Ass ausgespielt hat. Sollte das wagemutige Projekt tatsächlich gelingen, so steht die Republik jedenfalls zwangsläufig vor einer Neuauflage von Schwarz-Blau (2000-2007). Wenn nicht, hat Kurz zumindest endlich wieder genug Zeit, um sein Jus-Studium weiterzuführen. (Michael C. Wolf, 26.5.2017)