Komisch? Kein bisschen.

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Meine Freundin hat einen 17-jährigen Sohn, den sie in den vergangenen Wochen kaum wiedererkannte. Die Mathematikschularbeit fiel ihm leicht, das Geschirr räumte er nach dem Frühstück in den Geschirrspüler, und den immer böse dreinblickenden Nachbarn, der sich über jedes laute Sprechen aufregte, den grüßte er morgens freundlich mit einem Lächeln. Als meine Freundin sich gerade fragte, ob ihr Sohn von Außerirdischen entführt und mit seiner körperlichen Hülle die Invasion des Planeten vorbereitet wurde, begann er, sein Zimmer zu putzen. Daraufhin stellte sie ihn zur Rede. Und als er weiter lustig und lieb blieb und ihn am nächsten Morgen nicht einmal das lange Warten auf die U-Bahn irritierte, da schaute sie ihn an und sagte: "Man könnte fast meinen, du wärst verliebt."

Was geht das andere Leute an?

Jetzt muss ich weiter ausholen. Der Sohn von dieser Freundin, der war noch nie so richtig verliebt oder jedenfalls nicht so, dass die Mutter es bemerkt hätte. Dann war da noch eine Sache: Einige ihrer Freunde hatten sie schon einmal gefragt, ob sie nicht glaube, dass ihr Sohn schwul sei. Das hat meine Freundin ziemlich geärgert, und wir mussten gemeinsam viel Zirbenschnaps im Abstellkammerl trinken.

Denn a) was gehen die intimsten Geheimnisse der eigenen Kinder andere Leute an, das müssen die Kinder ja erst einmal mit sich selbst und in der Folge vielleicht mit ihrer Familie teilen, und b) hat ihr Sohn diese Fragen mitbekommen, was natürlich für ihn ein bisschen komisch war, und für seine Mama war das auch seltsam. Sie war ja nach wie vor damit beschäftigt, zu verstehen, dass gestern erst der vierjährige Bub mit ihr im Bett gekuschelt hat und jetzt da ein 17-jähriger Mann steht.

Hauptsache, das Kind ist glücklich

Schließlich ist es für Eltern auch nicht so einfach, damit klarzukommen, dass ihre Kinder irgendwann ein Liebesleben entwickeln. Jedenfalls: Es wurde offen darüber gesprochen, und die Freundin hat mit ihrem Mann die Sachlage erläutert. Der hat es auf den Punkt gebracht, und darüber haben die drei dann gemeinsam gelacht und waren alle irgendwie erleichtert: "Es ist mir egal, in wen du dich verliebst. Hauptsache, du bist glücklich." Sie waren nicht deshalb alle erleichtert, weil der Sohn sich hätte ängstigen müssen vor der Engstirnigkeit der Eltern. Sie waren erleichtert, weil damit etwas geklärt war, ohne explizit etwas ausgesprochen zu haben.

Es ist schlicht egal, ob er Mädchen oder Buben mag, hat meine Freundin einige Wochen später abends bei einem Glas Wein zu mir gesagt. Aber was, wenn es doch so sein sollte und was, wenn ich damit nicht so gut umgehen kann? Vielleicht ist das ja so? Sie schaute mich fragend an. Angst überfiel meine Freundin und sie dachte plötzlich an allerlei irrationale Dinge, wie Enkelkinder oder die konservative 95-jährige Uroma.

Glück ist ansteckend

Ihr Sohn schaute sie also am Bahnsteig an, grinste und sagte: "Ja, könnte sein." Und während sich die Mutter eben noch über die lange Wartezeit geärgert und innerlich schon Termine zu verschieben begonnen hatte, sah sie plötzlich das Strahlen in den Augen ihres Kindes und lächelte selig zurück. Weil Glück nämlich ansteckend ist und das Glück der Kinder für Eltern noch viel mehr. "Und, magst du mir mehr erzählen?", fragte sie. "Ja, ich zeig dir ein Foto", antwortete er.

Lange fingerte er am Handy herum, und seine Finger zitterten ein bisschen, als er es an die eigene Mutter weiterreichte. Auf dem Bild war ein sehr attraktiver junger Mann mit dunklen Locken und langen Wimpern zu sehen. "Das ist der David", sagte der Bub. Und die Mama, die sagte: "Er schaut sehr hübsch aus, lustig und sympathisch. Ich freue mich, dass er dich glücklich macht." Dann drehte sich das Gespräch weiter, hin zum Abendessen, zu den Wochenendplänen, den Geschwistern. Und die beiden verabschiedeten sich wie jeden Tag mit einem Bussi.

Komisch? Kein bisschen

Meine Freundin rief mich Tage später an und berichtete. Nichts wäre komisch gewesen, alle ihre Bedenken ein vollkommener Blödsinn. Ihr Kind sei glücklich und bitte: Was gäbe es denn Wichtigeres auf dieser Welt? Die erwachsenen Freunde der Eltern, die sagten natürlich Monate danach, als der 17-jährige Sohn gemeinsam mit dem David auf der ersten Party auftauchte, dass sie es ja schon immer gewusst hätten, ob denn den Eltern das nicht aufgefallen sei?

Und die Eltern lächelten, müde ob der seltsamen Klischees, und meinten nur, nein, und ehrlich, was hätte das Indiz sein sollen? Das Barbiespielen im Kleinkindalter? Und außerdem: Ist das nicht alles vollkommen irrelevant? Genauso irrelevant wie die Frage danach, ob der David für immer bleibt, irgendwann durch einen Lukas abgelöst wird oder irgendwann durch eine Sofie und dann vielleicht auch wieder durch einen Tobias. Es ist egal. Hauptsache, das Kind ist glücklich. (Sanna Weisz, 28.5.2017)