Dominic Thiem ist geistig und körperlich fit für Paris.

Foto: APA/AFP/TIZIANA FABI

STANDARD: In Rom haben Sie binnen kürzester Zeit kalt-warm bekommen. Zunächst der spektakuläre Sieg gegen Rafael Nadal, tags darauf im Halbfinale das Debakel gegen Novak Djokovic. Wie verarbeitet man Triumph und Schock?

Thiem: Das 1:6, 0:6 gegen Djokovic war kein Schock. Ich habe es zwar nicht in dieser klaren Form erwartet, aber es war das erste Mal, dass ich so lange auf so hohem Niveau gespielt habe. Irgendwann musste der Einbruch kommen. Die Niederlage schaut auf dem Papier schlimmer aus, als ich sie empfunden habe. Der Sieg gegen Nadal war emotional wichtiger.

STANDARD: Es heißt, aus Niederlagen lernt man mehr.

Thiem: Sicher lernt man. Aber nicht aus der gegen Djokovic, an diesem Tag hätte ich auch gegen andere verloren. Der Akku war einfach leer. Das Match fällt für mich aus der Wertung.

STANDARD: Sie haben in dieser Saison bereits 41 Partien bestritten. Wie ist Ihr körperlicher und mentaler Zustand?

Thiem: Gut, ich habe mich ein paar Tage erholt, ich bin bereit.

STANDARD: Aufgrund Ihres attraktiven Tennis werden sie gelobt, fast gehypt. Ist Ihnen das ästhetische Spiel, die Mischung aus Wucht und Eleganz, wichtig?

Thiem: Übt man einen Beruf in der Öffentlichkeit aus, soll das etwas gleichschauen. Jeder starke Tennisspieler drückt etwas aus. Natürlich ist Roger Federer in einer eigenen Liga, bei ihm wirkt alles extrem elegant. Aber auch die Kraft eines Nadals hat Ästhetik.

STANDARD: Ihre Popularität steigt. Ist es angenehm, dass die Nummer sieben aus Österreich und nicht aus den USA oder Deutschland kommt?

Thiem: Vielleicht, jedenfalls ist alles im Rahmen. Als Tennisprofi bist du dauernd unterwegs, nur selten in deiner Heimat. Bin ich in Österreich, meide ich Hotspots. Aber wie gesagt, es ist okay, ich kann in Ruhe arbeiten.

STANDARD: Fangen Sie mit dem Begriff Star etwas an? Fühlen Sie sich wie einer?

Thiem: Ich fühle mich wie immer, wie vor zehn Jahren. Ich bin kein anderer Mensch, nur weil ich ein erfolgreicher Sportler bin. Ich sehe mich nicht als Star, das behaupten nur die Leute.

STANDARD: Ihr Trainer Günter Bresnik sagt, Weltstar ist man erst, wenn man zumindest ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Stimmen Sie dem zu?

Thiem: Ja. Im Tennis ist es schwieriger als im Fußball. Dort gibt es absolute Größen, die nie die Champions League gewonnen haben oder Weltmeister geworden sind, etwa Zlatan Ibrahimovic.

STANDARD: Strapazieren wir das Phrasenschwein. Es heißt, Erfolg verändert den Menschen, führt manchmal zu einer Form der Einsamkeit. Sind Sie sensibler, introvertierter, vorsichtiger geworden?

Thiem: Nicht unbedingt. Als Sportler erlebst du Gefühle, die andere Menschen nie erfahren. Ich sitze in einer Hochschaubahn der Gefühle. Das verändert. Aber ich schätze, was ich habe, das Leben ist ein Traum, ich kann mich nicht beschweren. Ich habe Freunde, Familie, Rückzugsgebiete.

STANDARD: Sind Sie süchtig nach Applaus?

Thiem: Ich bin danach nicht süchtig, aber ich würde ihn vermissen.

STANDARD: Ist Ihnen ein bestimmtes Image wichtig? Wofür steht Dominic Thiem?

Thiem: Am besten ist es, so zu sein, wie du bist. Du musst authentisch bleiben, das taugt den Leuten. Verstellst du dich, wirst du unsympathisch. Man muss nicht zwanghaft nach einem Image suchen. Ich bin der Dominic Thiem.

STANDARD: Sie lehnen es ab, in der Fernsehsendung "Willkommen Österreich" bei Stermann und Grissemann aufzutreten. Warum?

Thiem: Da wird man teilweise ziemlich verarscht, das habe ich nicht nötig. Ich habe generell nicht vor, in irgendwelche Fernsehshows zu rennen. Meine Bühne ist der Tennisplatz.

STANDARD: Sie sind erst 23. Spieler, die vor Ihnen liegen, sind bis zu zwölf Jahre älter. Es scheint keine Grenzen zu geben. Schreckt das manchmal?

Thiem: Die Perspektive schaut tatsächlich gut aus. Anderseits rennt die Zeit sehr schnell. Du kannst dich nicht ausruhen. Die ganz Großen waren übrigens bei ihren ersten Erfolgen wesentlich jünger.

STANDARD: Nadal hat vor zwei Wochen gesagt, dass Sie in den nächsten zehn Jahren um jeden wichtigen Titel kämpfen werden.

Thiem: Das hat großen Wert. Er ist ehrlich, ist davon überzeugt.

STANDARD: Haben Sie noch Angst vor irgendeinem Gegner?

Thiem: Nein. Ich weiß, dass ich jeden schlagen kann.

STANDARD: Sie haben nie den Satz ausgesprochen: "Ich will die Nummer eins werden." Warum diese Bescheidenheit?

Thiem: Weil es vermessen wäre. Das schaffen ganz wenige. Sollte es passieren, wäre es unfassbar.

STANDARD: Die French Open stehen an. Ihr Lieblingsturnier?

Thiem: Ja. Ich mag die Anlage, den Sand, die Tradition. Paris ist wunderbar, ich habe dort immer gut gespielt, verlor im Vorjahr erst im Halbfinale gegen Djokovic. Die eigenen Erwartungen haben sich geändert, bisher wollte ich immer nur die zweite Woche erreichen. Das wäre jetzt nicht mehr das Gelbe vom Ei. Natürlich kann in jeder Runde Schluss sein, du brauchst auch Glück. Aber ich habe vor, extrem weit zu kommen.

STANDARD: Wer gewinnt Paris?

Thiem: Ich muss auf mich tippen. (Christian Hackl, 27.5.2017)