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Ein niedriges Sozialhilfeniveau allein führt noch nicht zu einer Aktivierung am Jobmarkt.

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Eigentlich verfügt die ÖVP über ein relativ neues Parteiprogramm, es wurde vor ziemlich genau zwei Jahren nach einem quälend langen, bereits nach der Wahlniederlage 2006 gestarteten "Evolutionsprozess" beim Wiener Parteitag beschlossen. Eigentlich war wohl daran gedacht, mit jenem Programm in die nächste Wahl zu gehen. Aber da war auch daran gedacht, dass bei jener Wahl der damals noch als "Django" gehypte Reinhold Mitterlehner Spitzenkandidat sein würde.

Alles Schnee von gestern. Jetzt ist Sebastian Kurz Spitzenkandidat. Und in der Parteizentrale sitzt die von Kurz eingesetzte Generalsekretärin Elisabeth Köstinger, die das ÖVP-Programm zwar für eines der modernsten Programme hält, das eine konservative Partei in Europa haben kann. Die aber, wie Kurz, der Meinung ist, dass man vor einer Wahl etwas Neues bieten muss.

Niederlage bei Mehrheitswahlrecht

Und das vielleicht auch nicht gleich im Umfang von 45 eng bedruckten Seiten, die das "Grundsatzprogramm 2015" füllt. Also wird in den nächsten Wochen das eine oder andere herausgepickt und gestrafft, vielleicht auch revidiert werden. Spitzenkandidat Kurz dürfte noch in unangenehmer Erinnerung sein, dass er auf jenem Parteitag in der Wiener Hofburg eine der wenigen Niederlagen seiner Karriere einstecken musste – das von ihm beantragte (und von 60 Prozent der befragten Parteimitglieder unterstützte) Bekenntnis zum Mehrheitswahlrecht fand nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der Delegierten.

Also wird jetzt getüftelt, wie man ein Wahlprogramm der Marke Kurz schaffen kann. "Kantig" wird es sein müssen, das wollen die Parteifunktionäre (ohne die eine Wahlbewegung nicht auskommt). Auf Sparsamkeit wird es drängen müssen, das wollen die konservativen Wähler (die ja immer noch die Basis bilden). Und Sozialmissbrauch wird man auch zurückdrängen müssen – das hören Unentschlossene gern; solange ihnen nicht droht, von der erhöhten Treffsicherheit des Sozialsystems vielleicht selbst einmal getroffen zu werden.

Will man das?

So erklärt sich auch, dass im ÖVP-geführten Finanzministerium überlegt wird, was es bedeuten würde, Sozialleistungen auf das (in den meisten Bereichen weit hinter dem österreichischen liegende) deutsche Niveau zurückzuschrauben. Wenig überraschendes Ergebnis: Da könnte man einen Milliardenbetrag einsparen. Will man das?

Wohl nicht eins zu eins. Was die rot-grüne Regierung in Deutschland mit Hartz IV angerichtet hat, hat zu einer verfestigten Massenarmut geführt. Ein niedriges Sozialhilfeniveau allein führt auch nicht zur versprochenen "Aktivierung" und zum "Anreiz, Arbeit aufzunehmen", wenn es für Personengruppen mit bestimmten Merkmalen (niedrige Bildung, soziale Abhängigkeiten, falscher Wohnort) einfach keine Arbeit gibt.

Aber darüber, dass es zwischen dem durch Sozialtransfers und dem auf dem Arbeitsmarkt erzielbaren Einkommen einen Abstand geben sollte, wird man reden müssen. Gerade bei der Erstellung eines Wahlprogramms. (Conrad Seidl, 28.5.2017)