Libyen stellt sich für die meisten vor allem als jenes Land dar, in dem die Subsahara-Migranten das Mittelmeer erreichen und ihre Boote nach Europa besteigen: was – ein oft gehörter Nachsatz – wahrscheinlich nicht der Fall wäre, wenn 2011 Muammar al-Gaddafi nicht gestürzt worden wäre. Und vor allem die Islamisten habe Gaddafi, so verrückt er war, in Schach gehalten. Wie jene, die hinter dem Manchester-Attentäter standen, dessen terroristisches Netzwerk in Libyen verortet war.

Es ist richtig, Libyen droht endgültig in Krieg und Chaos abzugleiten. Allerdings ist die Gemengelage weitaus komplizierter als nur ein Krieg zwischen den islamistischen Extremisten, die sich Libyen schnappen und zur Angriffsbasis gegen Europa ausbauen wollen, und den (guten) anderen. Es gibt viele verschiedene, von außen manchmal nur schwer zu identifizierende Konfliktebenen.

Ein Vertreter der simplen dualen Darstellung ist der libysche General Khalifa Haftar – und sein Vorbild und militärischer Partner in Ägypten, Präsident Abdelfattah al-Sisi. Sisi startete als Reaktion auf das erneute Massaker an Kopten in Minya eine Militäraktion gegen Islamistencamps in Libyen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sisi die Bomber losschickt: Seinen Kopten hat das bisher nichts geholfen.

Gemessen an den Befürchtungen von vor wenigen Monaten befinden sich die Jihadisten in Libyen eher in der Defensive. Der "Islamische Staat" hat in Libyen "seine" zwei Städte verloren, das Land ist also nicht zur neuen Basis des IS nach dessen Verdrängung aus dem Irak und Syrien geworden.

Und dass die Ansar al-Sharia – eine Filiale Al-Kaidas, verantwortlich für den Überfall auf das US-Konsulat in Bengasi 2012 – ihre Selbstauflösung verkündet, ist ebenfalls eine gute Nachricht. Und dennoch ist keine entsprechende Konsolidierung der international unterstützten Regierung in Sicht. (Gudrun Harrer, 28.5.2017)