Christian Kolonovits wandelte für "Vivaldi" auch in Venedig auf des Komponisten Spuren.

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STANDARD: Sie haben sich im Rahmen Ihrer Komposition intensiv mit Antonio Vivaldi beschäftigt. Was schätzen Sie an seiner Musik?

Kolonovits: Ich schätze die Einfachheit und die Klarheit seiner Musik. Und da sind wir auch schon bei der Verbindung zur Rockmusik, die ich ja in meiner Oper herstelle: Die Rockmusik war in ihren Anfängen auch simpel und klar, deswegen passt beides so gut zusammen. Ich habe meine Musik wie eine zweite Folie über die von Vivaldi gelegt. Und das Material hat sich von Anfang an ideal ergänzt.

STANDARD: Was hat Sie an Vivaldis Biografie fasziniert?

Kolonovits: Wenn man Vivaldis Leben sieht und sein Schaffen, dann kann man das durchaus mit dem vergleichen, was Rockstars gemacht haben, Leute wie Jimi Hendrix etwa. Vivaldi war ja auch ein Star in seiner Zeit, eine Berühmtheit. Besonders natürlich, als er mit seinem Mädchenorchester des Ospedale della Pietà durch Italien gereist ist. Frauen durften damals eigentlich nicht auftreten, aber er hat das Orchester zu einem der besten in Europa gemacht. Als Priester war er zudem immer in Gefahr, exkommuniziert zu werden, weil er ja mit einem der Mädchen ein Verhältnis hatte – mit mindestens einem. Er hat in dieser Zeit ein Leben gelebt, das man eigentlich nicht hat leben dürfen. So wie die Rockstars.

STANDARD: Sie sind ja auch nach Venedig gefahren, um sich an Ort und Stelle seines Wirkens inspirieren zu lassen.

Kolonovits: Ich war einen Herbst lang unten, habe mich auf Giudecca in einer Dachwohnung einquartiert und hinübergeschaut zur Santa Maria della Pietà, Vivaldis Wirkungsstätte. Nachts bin ich herumgegangen und habe Spurensuche betrieben – auch emotionale Spurensuche. In den Kirchen wird sehr viel Vivaldi gespielt – so wie man in Wien überall Mozart oder Strauß-Walzer spielt. Doch wie ich in Venedig war, habe ich von José Carreras den Auftrag bekommen, die Oper El Juez zu schreiben. Und so musste ich die Vivaldi-Sachen zur Seite legen und etwas völlig anderes schreiben: Verismo. Das war ziemlich schmerzvoll.

STANDARD: Wie lange hat die Arbeit an der Oper letzten Endes gedauert?

Kolonovits: Nach El Juez habe ich drei Jahre an Vivaldi geschrieben. Die Oper hat sich ja auch noch verändert, die Idee mit der fünften Jahreszeit ist erst später dazugekommen. Die fünfte Jahreszeit ist eine Art Vision: die Aufforderung, selbst etwas zu machen, kreativ zu werden, die großen Meisterwerke weiterzuentwickeln.

STANDARD: Vivaldi hat über 50 Opern geschrieben, der Schaffensprozess war damals natürlich weniger aufwendig. Blicken Sie dennoch respektvoll auf die Fülle dieses Werks?

Kolonovits: Natürlich, da kann man sogar etwas neidisch werden. Aber Vivaldi war ja ein Schnellschreiber, und er war ein richtiger Kreativer: Es gibt diese Geschichte, dass Johann Joachim Quantz nach Venedig kam, weil er ein neues Flötenkonzert von Vivaldi wollte. Der hat einfach ein Violinkonzert von sich genommen, auf dem Titel das Wort Violine durchgestrichen und Flöte darübergeschrieben. So geht's natürlich auch.

STANDARD: Sind Sie als Komponist eher der Mozart-Typ, aus dem die Melodien nur so raussprudeln, oder doch eher ein Tüftler à la Beethoven?

Kolonovits: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich im Flow bin, dann geht's dahin, dann schreibe ich wie ein Irrer. Das ist meistens dann, wenn die Premiere naherückt und ich weiß, ich muss fertig werden. Da lasse ich alle Selbstzweifel fallen, da entstehen auch die überraschendsten Sachen. Interessanterweise sind da auch die wenigsten Fehler drin.

STANDARD: Sie haben bei Vivaldi ja auch eine Tradition der Opernkomponisten von Mozart bis Verdi weitergeführt: Sie haben Partien gewissen Sängern quasi auf die Gurgel geschrieben.

Kolonovits: Genau, dem Drew Sarich etwa, er war mein Wunsch-Vivaldi. Ich kannte seine Stimme, seine hohen Töne – und die sind unglaublich. Beim Boris Pfeifer war's auch so. Den kenne ich schon seit Ewigkeiten, und sein Stimmklang ist mir für den Goldoni vorgeschwebt.

STANDARD: Sie waren und sind ja ein Wanderer zwischen den Musikwelten, zwischen Fendrich und Domingo, zwischen Maria Bill und José Carreras. Oft mussten sie dafür von beiden Seiten Häme einstecken, so nach dem Motto: Das geht doch nicht. Der kann doch nicht beides machen, nicht beides können.

Kolonovits: Damit konnte und kann ich leben. Dieses Schubladendenken existiert immer noch, aber es wird eher weniger. Und gerade das Projekt Vivaldi hat mir wieder klargemacht, wie groß die Parallelen zwischen den Zeiten sind. Man merkt plötzlich: He, es gibt eigentlich eh nur eine musikalische Welt. Es ist immer dieselbe. (Stefan Ender, 30.5.2017)