Alfred Goubran (52), eigenwilliger österreichischer Autor, Musiker und (Ex-)Verleger, der in seiner Erzählprosa immer wieder furchtlos die Bezirke des Wahnsinns aufsucht.

Foto: Arnold Poeschl

Wien – Muschg – gemeint ist nicht der Schweizer Autor gleichen Namens – darf mit Fug und Recht als wahnsinnig angesehen werden. Umstände, die niemandem rätselhafter sind als ihm selbst, haben ihn der Obhut einer "Anstalt" ausgeliefert. Besagte Klinik verbreitet aufs Erste einen eher gedämpften Schrecken. Jeden Morgen wird Muschg von einer Schwester mit atemberaubender Mundfäule aus dem Schlaf geweckt.

Der Held in Alfred Goubrans Prosaband Herz behauptet von sich, im wirklichen Leben "Theaterdisponent" gewesen zu sein. An diesem ehrenwerten Beruf scheint er wenig Geschmack gefunden zu haben. In Muschgs verzwickter Lage gilt: Nur die aus allen Sicherheiten des bürgerlichen Lebens gefallenen Exzentriker sind imstande, einem unleidlichen Dasein möglichst vollmundig eine Absage zu erteilen.

Muschg rechnet also ab. Es spricht für eine Restauffassung bürgerlichen Anstands, dass er sich selbst von der Fundamentalkritik an unserer Kultur nicht ausschließt. Indem der Monologroman Herz im Untertitel auch noch "Eine Verfassung" heißt, scheinen wesentliche Bedeutungsfelder von vornherein abgesteckt.

Muschg, der Patient wider Willen, trägt sein Herz auf der Zunge. Als Gewährsmann der von ihm als Erzählinstanz verursachten Umstände ist ihm nicht zu trauen. Gemäß einer "Verfassung", die vom beurteilenden Oberarzt, dem "großen Blabla", als bedenklich eingestuft wird, besitzt Muschg aber auch eine Freikarte. Er kann rücksichtslos aussprechen, wovon andere Geister schweigen müssen, um nicht unverzüglich als labil eingestuft zu werden.

Dieses Verfahren dient naturgemäß der Beweislastumkehr. Thomas Bernhard bevölkerte bekanntlich das ganze Voralpenland mit beredten Sonderlingen, die im Tone der Frühromantik seltsamen Blütenstaub über schattseitige Täler verbreiteten. Solche Großsprecher erregen Interesse, weil sie sich nicht mit der Geißelung von Kleinigkeiten zufriedengeben.

Auch Goubrans Sprechpuppe geht aufs Ganze. Muschg hat zwar nur noch Anstaltskleidung am Leib, aber über die Deformationen der anderen, ihre Verkrüppelungen und Borniertheiten, weiß er trefflich Bescheid. Noch nicht einmal der Blick aus dem Fenster der Klapse schafft Klarheit. Schaut Muschg aus dem achten Stock eines Hochhauses hinaus auf eine anonyme Großstadt? Hat er ein Alpenpanorama vor der Tür? Sitzt er im Inneren einer unterirdischen Menschenvertilgungsanlage, oder befindet er sich in den Händen einer Gemeinschaft von Seelenüberträgern? Man wüsste auch nicht anzugeben, ob Muschg in einer Zeitschleife ontologisch gefangen sitzt – oder ob er sich nicht alles ausdenkt, im Schweiße seiner Psychopharmaka.

In ihren besten Momenten scheint in Muschgs Suada der schwarzgallige Witz einer Samuel-Beckett-Figur auf. Über weite Strecken fühlt man sich aber auch nachlässig besachwaltet. Es kann schließlich nicht die Aufgabe des Lesers sein, sich aus ein paar wenigen Bausteinen eine ganze Anstaltswelt – als Weltanstalt! – zusammenzubasteln. Erst zum Schluss lüpft Goubran ein wenig den Schleier, der seine Prosamaschine sonst den Blicken entzieht. Natürlich sind Entscheidungsträger der Republik hinter Muschg her. Und so wünscht man dem armen, blassen Muschg von Herzen alles Gute. Bloß weil jemand paranoid ist, heißt das ja nicht, dass sie nicht auch wirklich hinter ihm her sind! (Ronald Pohl, 29.5.2017)