Wer hat das Recht, beachtet zu werden? Antigone legt sich mit der Herrschaft an.


Foto: Rainer Berson

Wien – In der als Gemeinschaftswerk von DiverCityLab und Dschungel Wien entstandenen Inszenierung von Nirgends in Frieden. Antigone gibt es eine "Operation Eteokles" und eine "Operation Sobotokles". Ist Eteokles ein mythologischer Königssohn, der im Streit mit seinem Zwillingsbruder Polyneikes um den Thron stirbt (sie erschlagen einander), so ist Sobotokles der verballhornte Name eines österreichischen Politikers, der 2017 auf die Idee verfiel, die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit einzuschränken. Sie beide sind Repräsentanten der Macht.

Und um diese geht es in dem im Auftrag des Theater Basel entstandenen Stück von Darja Stocker. Die Schweizer Dramatikerin, zu Zeiten Andreas Becks Hausautorin am Wiener Schauspielhaus, transportiert den Konfliktherd des antiken Mythos in die Gegenwart: Antigone, die Schwester der beiden toten Brüder, will das Andenken an den fälschlich als Verräter hingestellten Polyneikes ehren und ihn – was ihm verwehrt blieb – ebenso bestatten wie seinen Mörder Eteokles. Damit legt sie sich mit der neuen Macht in Theben, König Kreon, an.

Im Stück rückt dieser konkrete Konflikt in den Hintergrund – zugunsten eines generellen Aufeinanderprallens von unterschiedlichen Rechtsansprüchen. Wer hat das Recht, beachtet und respektiert zu werden, und wer hat dies nicht?

Aus der Festung Theben wird bei Stocker respektive in der Inszenierung von Corinne Eckenstein die Festung Europa. Antigones Aufbegehren, das von einer bemühten, verzichtbaren Flughafenrahmenhandlung eingefasst ist, nimmt vielfache Formen an. Die Figur wird entpersonalisiert bzw. eher als "Prinzip" von einer Schauspielerin zur nächsten weitergegeben. Es sind militärisch aussehende Frauen (das Programmheft nennt z. B. bewaffnete Peschmergafrauen) oder schlicht Protestierende. Darja Stocker, die zwischen 2012 und 2014 mehrheitlich in Ägypten und Tunesien lebte, hat die Protagonistinnen dem Arabischen Frühling und seinen Menschen abgeschaut.

Die Schauspielstudierenden bringen Bewegung rein, sie hantieren mit Quadern, die sie zu Mauern oder Stegen bauen und mit welchen sie auch den Stammbaum des thebanischen Königsgeschlechts nachzeichnen. Das bleibt immer spannend, manchmal wirkt das Getümmel auch zu mechanisch und lässt Gedankenräume vermissen. (Margarete Affenzeller, 29.5.2017)