Wien – Wie oft muss man jemanden anrufen, um Telefonterror auszuüben? Wie oft darf man in ihrer oder seiner Nähe sein, ehe man Stalking begeht? Um diese Fragen dreht sich der Prozess gegen Werner S., dem beharrliche Verfolgung, wie Stalking juristisch heißt, vorgeworfen wird. Mindestens zwischen Ende Oktober 2016 und Mitte Jänner 2017 soll er seine Exfreundin psychisch so unter Druck gesetzt haben, dass sie psychologische Betreuung brauchte.

Am 1. Juli 2006 wurde der Paragraf 107a ins Strafgesetzbuch eingefügt. Bei der Polizei werden täglich Fälle angezeigt. Im Jahr 2015, aus dem die jüngsten verfügbaren Daten des Innenministeriums stammen, waren es exakt 1.980 Stück. Verurteilt werden deutlich weniger – ebenfalls 2015 gab es 119 gerichtliche Strafen.

Gesetz mit Interpretationsspielraum

Der von Richter Philipp Schnabel geführte Prozess gegen den 41-jährigen Angeklagten könnte einen Hinweis darauf geben, wie es zu dieser Diskrepanz kommt. Schließlich lässt der Gesetzestext Interpretationsspielraum offen: Stalking ist es nur, wenn über einen längeren Zeitraum "die Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt wird." Was unzumutbar ist, muss aber das Gericht und nicht das Opfer beurteilen.

"Wissen Sie, um was es heute geht?", fragt Schnabel S. zu Beginn. "So grob herum." Worauf er plädiert? "Ich sage jetzt einmal: teilweise schuldig." Ja, er habe im fraglichen Zeitraum mit seiner Expartnerin telefoniert. Das seien aber normale Gespräche gewesen. Es sei um Kleidung gegangen, die noch in ihrer Wohnung war, Geburtstagsglückwünsche, Belangloses. Und ja, er habe am 31. Dezember in einer niederösterreichischen Diskothek Weihnachtsgeschenke für Frau D. auf einem Tisch platziert. "Ich streite ja nicht ab, dass ich Frau D. gerne habe."

Unbekannter Bekannter

Gegen andere Vorwürfe wehrt er sich entschieden, obgleich etwas unglaubwürdig. Er sei sicher nicht fünfmal im der Wohnung seiner Exfreundin gegenüberliegenden Haus gewesen und habe auf ihre Fenster gestarrt. Einmal habe er in der Gegend zu tun gehabt, es sei um Reifen für einen Bekannten gegangen. "Und wie heißt der? Haben Sie seine Adresse?", fragt der Richter. Beides kann S. nicht beantworten.

Sein größtes Problem: Er hat wegen der gescheiterten Beziehung schon eine Vorstrafe wegen Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung. Als er im Oktober vor der Tür seiner ehemaligen Lebensgefährtin auftauchte, kam es zu einer Auseinandersetzung – vier Monate unbedingt lautet das rechtskräftige Urteil. Eine einstweilige Verfügung, die die Frau danach erwirkte, ignorierte er.

Nur ein Dutzend Anrufe dokumentiert

Allerdings: Anhand ihrer Aufzeichnungen kann Frau D. nur ein knappes Dutzend eindeutig von S. stammende Anrufe dokumentieren – in zweieinhalb Monaten. Sie habe ihm aber immer klargemacht, dass sie keinen Kontakt wünsche, beteuert sie. Wirklich gesehen hat sie ihn aber nur in der Disko, dass er sich in ihrer Siedlung – in der auch seine Schwester wohnt – herumgetrieben habe, weiß sie nur von Zeugen.

Da einer von diesen verhindert ist, muss Schnabel vertagen. (Michael Möseneder, 29.5.2017)