Bild nicht mehr verfügbar.

Wer in Deutschland längere Zeit keine Arbeit findet, nimmt seit der Hartz-IV-Reform häufiger schlecht bezahlte Jobs an. Denn die Leistung ist niedrig, bevor man sie kriegt, wird auf Vermögen zugegriffen.

Foto: dpa/murat

Wien – Am Wochenende sorgte eine Auftragsstudie des Finanzministeriums für Aufsehen. Hans Jörg Schelling (ÖVP) wollte wissen, was die umstrittene deutsche Arbeitsmarktreform Hartz IV für Österreich heißen würde. Worum es in der Debatte geht – und was die Reform in Deutschland bewirkt hat.

Frage: Was ist Hartz IV?

Antwort: Ein Teil einer groß angelegten Reform, die in Deutschland zwischen 2003 und 2005 in Kraft trat. Der Name stammt von Peter Hartz, einem früheren Volkswagen-Manager. Er hat dafür eine Reformgruppe geleitet, die damals von der SPD und den Grünen eingesetzt wurde. Durch Hartz IV bekommen Arbeitslose, etwas verkürzt gesagt, nach einem Jahr ohne Job deutlich weniger Geld als zuvor. Vor der Reform hatte ein Arbeitsloser Anspruch auf Sozialleistungen, die sich an seinem früheren Einkommen orientiert haben. Wer also gut verdient hatte, bekam auch nach einem Jahr ohne Job im Vergleich hohe Leistungen.

Frage: Und jetzt?

Antwort: Jetzt kriegt jeder Arbeitslose in Deutschland nach in der Regel einem Jahr nur mehr etwas mehr als 400 Euro im Monat plus Geld für Miete und Heizung. Hartz IV soll – anders als die frühere Arbeitslosenhilfe – nicht den Lebensstandard halbwegs absichern, sondern für ein Leben am Existenzminimum sorgen. Man darf auch fast kein Vermögen mehr besitzen – das war früher nicht so.

Frage: Warum reden wir darüber?

Antwort: Am Wochenende wurde bekannt, dass der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling hat prüfen lassen, wie sich so eine Reform auf Österreich auswirken würde. Dort beschwichtigte man: Man habe die Studie bereits vor zwei Jahren in Auftrag gegeben und plane keine Umsetzung für Österreich. Tatsächlich wurde die Studie aber erst im April 2016 beauftragt, wie die Autoren dem STANDARD bestätigten.

Frage: Was sagt die Studie?

Antwort: Es gibt verschiedene Szenarien, Michael Fuchs vom European Centre for Social Welfare Policy fasst sie so zusammen: Der Staat würde sich Geld sparen -- im Extremszenario über eine Milliarde Euro --, dafür aber die Schere zwischen Arm und Reich aufgehen und die Armut steigen.

Frage: Warum hat Schelling die Studie in Auftrag gegeben?

Antwort: Der Finanzminister hat bereits 2015 öffentlich mit dem deutschen System sympathisiert. In einem STANDARD-Interview sagte er damals: "In Deutschland gibt es mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktioniert." Dafür musste er viel Kritik einstecken. Der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel, ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz, rückte verteidigend aus: "Schelling hat völlig recht."

Frage: Funktioniert Hartz IV?

Antwort: Das kommt darauf an, woran man den Erfolg der Reform misst. Wer seinen Job verliert, nimmt seit der Umstellung in der Tat schneller wieder einen neuen an. Arbeitslose sind auch bereit, für weniger Geld und unter ihrer eigentlichen beruflichen Qualifikation zu arbeiten. Für eine Volkswirtschaft ist das gut, sagt Holger Bonin vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Wenn ein Ingenieur derzeit -- obwohl so viele Ingenieure gesucht werden – keinen Job findet, solle er sich besser umorientieren, so der Ökonom. Der Druck dafür sei jetzt größer.

Frage: Also ist Hartz IV eine nachahmenswerte Erfolgsgeschichte?

Antwort: Die Reform wollte eigentlich erreichen, dass Langzeitarbeitslose zurück in den Arbeitsmarkt kommen. Daran ist sie gescheitert. In Deutschland gibt es deutlich mehr Menschen, die über Jahre keinen Job finden, als in Österreich. Und das, obwohl die Sozialleistungen hierzulande höher sind. Teil der Hartz-Reformen war es auch, dass für viele Arbeitslose die Kurse zurückgeschraubt wurden. Es bleiben seit der Reform viele kürzer in der Arbeitslosigkeit. Sind sie aber einmal länger ohne Job, schaffen sie es kaum mehr zurück, obwohl der Druck auf sie im deutschen System enorm ist.

Frage: Aber immerhin ist die Arbeitslosigkeit stark gesunken.

Antwort: Das stimmt zwar, hat aber den meisten Fachleuten zufolge relativ wenig mit Hartz IV zu tun. Deutschland hat sich zur gleichen Zeit auch in vielen anderen Bereichen reformiert, die Löhne wurden schon Jahre zuvor kaum mehr erhöht und Unternehmen haben sich auf Märkte wie China spezialisiert, was sich als ein mehr als glücklicher Handgriff entpuppte. Außerdem sinkt die Zahl der Leute, die arbeiten wollen, weil es weniger Junge und Zuwanderer und mehr Alte gibt als in Österreich.

Frage: Wie könnte Hartz IV in Österreich aussehen?

Antwort: Die Notstandshilfe könnte abgeschafft werden. Wer länger arbeitslos ist, erhält mit ihr derzeit circa die Hälfte seines letzten Einkommens. Er würde in die Mindestsicherung fallen, sie beträgt in den meisten Bundesländern 840 Euro und kann – anders als die Notstandshilfe – erst bezogen werden, wenn das Vermögen fast zur Gänze aufgebraucht ist. Wer Eltern mit einer Pension oder Kinder, die schon arbeiten, im Haushalt hat, bekommt auch weniger oder gar nichts. Welchen Effekt das auf die Arbeitslosigkeit hätte, war nicht Teil des Forschungsauftrags des Ministeriums. (Andreas Sator, 30.5.2017)