Mit massiven Angriffen auf ihren Labour-Herausforderer hat die britische Premierministerin Theresa May am Dienstag versucht, ihre schlingernde Wahlkampagne wieder auf Siegeskurs zu bringen. Jeremy Corbyn wäre der schwache Leiter einer schwachen Regierung, die vom Ausland nicht ernst genommen würde, prophezeite die Konservative: "Im Brüsseler Verhandlungssaal wäre er allein und nackt." Hingegen habe sie einen Plan für die Brexit-Verhandlungen und die Stärke, britische Positionen durchzusetzen, "weil ich an das Vereinigte Königreich glaube".

May hatte ihren Wunsch nach vorgezogenen Neuwahlen mit der Behauptung begründet, die anderen Parteien würden ihren Brexit-Kurs boykottieren. Für erfolgreiche Verhandlungen brauche sie ein starkes Mandat. Kurioserweise wurde im Wahlkampf aber über alles Mögliche diskutiert, nur nicht über die Zukunft Großbritanniens außerhalb der EU. Steuern, Einwanderung, das Gesundheitswesen, zuletzt auch die Altenpflege – bei vielen Themen mussten sich die Konservativen gegen den Vorwurf verteidigen, ihre Politik der vergangenen Jahre habe die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die Lösungsvorschläge für die kommende Legislaturperiode stießen auf erheblichen Widerspruch.

Widerstand gegen "Demenzsteuer"

Besonders galt dies für eine beinahe revolutionär anmutende Idee: Immobilienbesitz sollte zukünftig bei der Berechnung von Pflegekosten berücksichtigt werden. Weil sich dagegen massiver Widerstand formierte – Opposition, aber auch Tory-nahe Zeitungen sprachen von einer "Demenzsteuer", zog May das zurück. Ihre als "stark und stabil" gepriesene Führung stellte sich als wacklig und wankelmütig heraus.

In der ersten und wahrscheinlich auch einzigen Live-Begegnung mit einem Moderator und Publikum der Sender Channel Four und Sky News musste sich May am Montagabend immer wieder Zwischenrufe und Hohngelächter gefallenlassen. Hingegen behandelte das gleiche Publikum zuvor den 68-jährigen Corbyn höflich. Einer direkten Konfrontation hatte sich May verweigert. Sie folgte damit einer 30 Jahre zurückreichenden Tradition, die nur Labours letzter Premier Gordon Brown 2010 durchbrochen hatte.

Sky News

Corbyn kritisierte die Premierministerin für ihre "Megafon-Diplomatie". In den EU-Verhandlungen gehe es um einen ernsten, respektvollen Umgang zum beiderseitigen Wohl. Hingegen tadelte May die EU-Kommission für deren "aggressive" Haltung und betonte, sie werde "notfalls den Verhandlungstisch verlassen: Gar keine Vereinbarung ist besser als eine schlechte." Das Tory-Wahlprogramm legt das Land auf den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion fest. Sollten die auf zwei Jahre angelegten Verhandlungen, die am 19. Juni beginnen, nicht zum Erfolg führen, sagen britische Wirtschaftsverbände katastrophale Folgen für die Insel voraus.

In der Sendung sahen sowohl Corbyn wie May von persönlichen Angriffen auf den Gegner ab. Dass die Premierministerin tags darauf zur rhetorischen Keule griff, dürfte auf das Konto ihres Chefberaters Lynton Crosby gehen. Der Australier hat in seiner Heimat dem früheren konservativen Premier John Howard mehrfach mit negativen Kampagnen die Wiederwahl gesichert, im vergangenen Jahr war er für die unterschwellig rassistische, letztlich erfolglose Kampagne gegen den späteren Londoner Bürgermeister Sadiq Khan verantwortlich.

Labour holt auf

Im Durchschnitt der Umfragen lagen die Konservativen (44 Prozent) zuletzt um acht Punkte vor Labour (36), der Vorsprung hat sich damit seit Mitte April mehr als halbiert. Einer Erhebung des Instituts YouGov zufolge muss May sogar um die absolute Mehrheit zittern. Die Methode der Umfrage ist allerdings umstritten.

Allerdings ist bereits der Zuwachs für Labour um neun Prozentpunkte spektakulär, im britischen Mehrheitswahlrecht aber nur bedingt hilfreich: Da alle Stimmen des jeweils unterlegenden Wahlkreis-Bewerbers unter den Tisch fallen, können die Konservativen noch immer mit einer soliden absoluten Mehrheit der Sitze rechnen. Zudem genießt Labour deutlich mehr Unterstützung bei Jungwählern als bei Pensionisten; erfahrungsgemäß bemühen sich am Wahltag aber erheblich mehr Ältere zu den Urnen als Jüngere. (Sebastian Borger aus London, 30.5.2017)