Captain America versus Hitler: Die von Jack Kirby und Joe Simon geschaffene Figur war ein Produkt der US-Kriegspropaganda. Bereits in der ersten Ausgabe von 1941 (hier ein Coverausschnitt) schlägt er Hitler nieder – neun Monate vor dem Kriegseintritt der USA.

Foto: Marvel Comics

Hartheim/Wien – Schwarzer Rauch steigt auf zwischen den Bäumen hinter dem Schloss Hartheim. Ein grauer Bus fährt darauf zu. "Schwachsinnige, geistig Kranke und Körperbehinderte sollen in spezielle Institutionen gebracht werden, wo man sie ermordet", steht über dem Bild. Die Comicserie "Grand Prix" des belgischen Zeichners Marvano, zwischen 2011 und 2014 auch abgedruckt im deutschen Comicmagazin "Zack", bildet eigentlich die Geschichte des Autorennsports im Europa der 1930er-Jahre ab. Die fiktive Story wird immer wieder verschränkt mit Einschüben zum parallel verlaufenden Aufstieg des Nationalsozialismus – mehr oder weniger historisch korrekt.

"Die Gaskammer und das Krematorium waren im Haus, es gab keinen extra Anbau, wie er im Comic gezeigt wird", sagt Simone Loistl vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. Loistl betreut die Ausstellung "Holocaust im Comic", die noch bis 16. Juli auf dem Gelände der Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie im oberösterreichischen Hartheim zu sehen ist. In dem Renaissanceschloss wurden von 1940 bis 1944 nahezu 30.000 körperlich und geistig beeinträchtigte und psychisch kranke Menschen ermordet.

Auch in der französischen Serie "Der Weg des Königs", einer Adaption des Romans "Le Roi Vert" von Paul-Loup Sulitzer, kommt Hartheim vor: Der Vater des Protagonisten wird dort ermordet. Im Comic ist auch die Rede von Experimenten an Menschen. "Dafür gibt es im Moment keine Beweise", stellt Loistl richtig. "Es gab nur Gerüchte. In den 1980er-Jahren, als die Buchvorlage entstand, war der Forschungsstand aber noch ein anderer als heute."

Von "Seicherl" zu "Master Race"

Den Holocaust in Comicform aufzuarbeiten – das war nicht immer unproblematisch, und nicht nur aufgrund mangelnder historischer Korrektheit. "Comics galten in den Köpfen der Menschen lange als Kinderkram", sagt Ralf Palandt. Der Münchner Zeichner und Kommunikationswissenschafter ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für Comicforschung und Kurator der seit 2001 immer wieder adaptierten Wanderausstellung "Holocaust im Comic", die auch den Kern der Hartheimer Ausstellung bildet. "Die Einstellung hat sich aber im Laufe der Jahre mit dem steigenden Angebot von anspruchsvollen Comics – gerade auch zum Thema Holocaust – gewandelt."

Wie vielfältig die Herangehensweisen sind, zeigt die Ausstellung: von den Comicsuperhelden, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf die Bildfläche traten und im Dienste der US-Propaganda gegen die Nazis kämpften, bis zu den höchst politischen und im Wiener Dialekt verfassten "Tobias Seicherl"-Strips von Ladislaus Kmoch, die ab den 1930er-Jahren in der Zeitung "Das kleine Blatt" erschienen. 1955 kam die Kurzgeschichte "Master Race" von Bernard Krigstein heraus, die sich um einen untergetauchten KZ-Kommandanten dreht – damals ein kaum aufgegriffenes Thema.

Darüber hinaus wird ein Bogen gespannt von den Underground-comics der 1960er- über politisch motivierte Sachcomics der 1970er-Jahre bis hin zu satirischen Abhandlungen wie Walter Moers' "Adolf" und der ebenfalls "Adolf" betitelten Mangaserie von Osamu Tezuka. Nicht ausgespart werden kritisierte Comics wie der 1995 erschienene Band "Braun" von Emmanuel Guibert, in dem der Teufel Hitler zum Holocaust verführt.

Wendepunkt "Maus"

Ab Ende der 1980er-Jahre begannen Autorencomics, sich in dokumentarischen und (auto)biografischen Geschichten intensiver mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Als Wendepunkt, auch was die generelle Rezeption des Mediums Comic betrifft, gilt "Maus", in dem Art Spiegelman die Geschichte seines Vaters erzählt, eines polnischen Juden, dem es gelang, der nationalsozialistischen Verfolgung zu entfliehen.

"Nie zuvor hat es eine so breite öffentliche Diskussion über einen Comic gegeben", sagt Harald Havas, Zeichner und Comicexperte. Insbesondere nach der Erstveröffentlichung in Deutschland 1989 kam es zu heftigen Reaktionen – zu tief war verankert, dass der Comic ein "minderwertiges" Medium sei, in dem überhaupt keine adäquate Darstellung des Holocaust möglich wäre. Dennoch: Nicht zuletzt aufgrund des internationalen Erfolgs von "Maus" – 1992 als überhaupt erster Comic mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet – konnte sich das Medium immer mehr als ernst zu nehmende, auch aufklärerische Literatur etablieren.

"Politische Inhalte waren immer schon Bestandteil des Mediums", betont Havas, der heute, Mittwoch, bei einem Kolloquium zur Ausstellung einen Vortrag zu Politik und Propaganda im Comic halten wird. "Der Comic hat sich unter anderem aus der politischen Karikatur entwickelt und wurde immer wieder instrumentalisiert, von den Nationalsozialisten genauso wie in US-Wahlkämpfen." Mickymaus wurde zur Rekrutierung engagiert, Superman, Batman und Wonder Woman machten Kriegsstimmung. "Aber auch die SS hat Bildgeschichten eingesetzt", sagt Havas.

Rechte Feindbilder

Auch Rechtsextreme setzen mitunter auf Comics zum Aufbau von Feindbildern, wie Rolf Palandt berichtet: "Das ist kein neues Phänomen. Rechtsextreme Comics wurden und werden über Flugblätter, in Schülerzeitungen und Fanzines, Parteizeitungen und Booklets von Rechtsrock-CDs verbreitet." Einblicke dazu gibt Palandt in seinem Vortrag über "Braune Comics" (und hier im Interview).

Bekannt sind auch Versuche von rechten Parteien, mithilfe von Comics junge Wähler anzusprechen: So stilisierte sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache immer wieder als Supermann, der gegen die EU und die Türkenbelagerung kämpft. Als Gegenpol dazu haben sich Zeichner zur Plattform Comics gegen rechts zusammengeschlossen. Eine kleine Auswahl ihrer Arbeiten ist auch in Hartheim zu sehen.

Ergänzt wurde die Schau um Trailer zu aktuellen Superheldenfilmen und um neue Graphic Novels aus dem Wiener Bahoe-Verlag, die den Holocaust behandeln, wie etwa "Schwere Zeiten. Das Leben der Lili Grün" von Thomas Fatzinek. Die Geschichte geht also weiter – auch wenn die Wanderausstellung in Hartheim ihre letzte Station macht. (Karin Krichmayr, 30.5.2017)