Jung und modern? Zu frauenpolitischen Maßnahmen mutet der Ton eher traditionell an.

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Neuer Stil, neue Köpfe, neues Programm – die Losung, mit der Sebastian Kurz und seine Vertrauten seit einigen Wochen durch die Lande ziehen, scheint für die frauenpolitische Ausrichtung der Volkspartei vorerst nicht zu gelten. Zwar ist von einem Reißverschlusssystem für die KandidatInnenlisten die Rede – für die Landes- und Bundeswahlkreisebene wurde das bereits unter Parteichef Reinhold Mitterlehner beschlossen –, zugleich wird aber auf einen Vorzugsstimmenwahlkampf gesetzt. Dass dieser Ersteres konterkariert, erklärte Politikwissenschafter Peter Filzmaier wiederholt im ORF: Gerade ältere, finanzkräftige Männer mit Tagesfreizeit würden im Ringen um Vorzugsstimmen punkten. Überhaupt war die ÖVP da schon weiter.

Dorothea Schittenhelm, Chefin der ÖVP-Frauen, hatte sich klar für eine Kopplung der Klubförderung an eine Frauenquote ausgesprochen – von Elisabeth Köstinger gab es dafür bereits eine Absage. Eine solche Rückschrittlichkeit sei äußerst bedauerlich, richtete SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek der neuen VP-Generalsekretärin aus. Die Unzulänglichkeiten des Reißverschlusssystems beweist freilich die SPÖ selbst: Die SozialdemokratInnen können im Nationalrat aktuell einen Frauenanteil von rund 35 Prozent vorweisen – und das trotz selbstverordneter 40-Prozent-Quote.

Mutter oder Vorstandsvorsitzende

Was konkrete Inhalte betrifft, lässt sich Elisabeth Köstinger ebenso wenig in die Karten blicken wie Neo-Chef Kurz, ein kürzlich veröffentlichtes Interview lässt allerdings darauf schließen, dass auch die neue Volkspartei eisern an der sogenannten Wahlfreiheit für Frauen festhält. "Ich werde Frauen aus voller Überzeugung auf allen Ebenen immer fördern, aber jede Frau soll selbst entscheiden können, ob sie Mutter sein will oder Vorstandsvorsitzende", sagte die Generalsekretärin im Gespräch mit der "Kronen Zeitung".

Es sind die Grundsätze der alten ÖVP, die in dieser Aussage durchscheinen. Dass auch berufstätige Frauen in Österreich nach wie vor für Haushalt und Sorgearbeit zuständig sind, belegen Studien seit vielen Jahren. Wer die schmutzigen Socken wäscht oder in Karenz geht, muss Thema gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sein und nicht bloß private Verhandlungssache, fordern Feministinnen seit Jahrzehnten. Und auch der Weg in den Vorstand eines Unternehmens ist angesichts hartnäckiger Geschlechterstereotype und nach wie vor vererbter Bildungsabschlüsse – was Männer hierzulande sogar noch stärker betrifft – wohl kaum eine Frage der Berufswahl.

Die Mär von der Wahlfreiheit

Seit Jahrzehnten sitzt die Volkspartei dem fundamentalen Missverständnis auf, eine Untätigkeit des Gesetzgebers (mehr privat, weniger Staat!) wäre der Selbstbestimmung der BürgerInnen zuträglich. Sozialabbau, wie ihn die ÖVP zuletzt in der Koalition mit den Freiheitlichen vorangetrieben hat, und eine lückenhafte Infrastraktur bei Kinderbetreuungseinrichtungen, Ganztagsschulen und Krankenhäusern, die einen sicheren und kostengünstigen Schwangerschaftsabbruch anbieten, stehen der vielbeschworenen Wahlfreiheit allerdings gehörig im Wege.

Die Öffnungszeiten des örtlichen Kindergartens prägen in ländlichen Gemeinden etwa den Berufsweg von Frauen weit mehr als ihre Karriereambitionen. Und auch die schwarz-blaue Pensionsreform, die die ehemalige VP-Ministerin Maria Rauch-Kallat gern als frauenpolitischen Erfolg preist, zementiert die Abhängigkeit vom Partner oder der Partnerin im Alter. Nachdem das Ernährermodell allein schon angesichts stagnierender Löhne für eine Mehrheit der Bevölkerung keine Option darstellt, wäre es für die Volkspartei an der Zeit, sich endlich vom falschen Glaubenssatz der Wahlfreiheit zu verabschieden. In der neuen ÖVP müsse man mit Denkverboten brechen, sagte Elisabeth Köstinger kürzlich bei einer Pressekonferenz. Damit diese Ansage nicht zur leeren Phrase verkommt, braucht es mehr als nur neue Köpfe: Eine "moderne" Volkspartei muss ihre Konzepte auch an gesellschaftliche Realitäten anpassen – in frauenpolitischer Blockade hat sich die ÖVP lange genug geübt. (Brigitte Theißl, 4.6.2017)