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Elf Prozent der Kinder in Venezuela sind unterernährt, viele sind – wie hier im Viertel Caucaguita der Hauptstadt Caracas – auf Lebensmittelhilfe angewiesen, für die die Kirche zu sorgen versucht.

Foto: Reuters / Henry Romero

STANDARD: Wie schätzen Sie die Lage momentan in Venezuela ein?

Padrón: Wir sind alle entmutigt angesichts der vielen Entbehrungen. Es fehlt an Essen, an Medikamenten, an Sicherheit und an einer Perspektive für einen Ausweg. Die einzige Antwort der Regierung besteht in einer Verfassungsgebenden Versammlung, die keines der genannten Probleme lösen wird.

STANDARD: Und welches Echo erhalten Sie von der Bevölkerung?

Padrón: Die Bevölkerung spürt die Dekadenz einer Regierung, die nicht regiert, die weniger Geld hat und weder genügend Güter importiert noch produziert. Jeden Tag wird die Freiheit ein Stückchen mehr beschnitten. Unser Land Venezuela befindet sich im freien Fall.

STANDARD: Die Kirche hat über die Caritas humanitäre Hilfe angeboten. Was sagt die Regierung dazu?

Padrón: Sie hatte zwei Einwände. Das verletze die Würde des Volkes; und es suggeriere, die Regierung tue nichts. Sie nehmen das Volk als Vorwand und sind besorgt um ihr Image, aber das wurde längst von der Realität eingeholt. Hier sterben Menschen, weil Medikamente fehlen. Es gibt Unterernährung. Laut einer Studie der Caritas sind elf Prozent aller Kinder unternährt. Die Regierung kümmert sich erst um Kinder ab fünf Jahren. Aber gerade in den ersten Lebensjahren hinterlässt Unterernährung einen nicht wiedergutzumachenden Schaden.

STANDARD: Diese Regierung schreibt sich die Verteidigung der Armen auf die Fahnen. Makulatur?

Padrón: Leider ist das reine Theorie, die Armen sind ärmer als früher. Sie haben weder Medikamente noch Essen und müssen sich stundenlang in Warteschlangen erniedrigen, um einen Laib Brot zu kaufen. Es gibt keine Garantien für Leib und Leben oder das Recht auf Gesundheit und Unversehrtheit. Die Kriminalität ist explodiert.

STANDARD: Wie steht die Kirche zu den Demonstrationen?

Padrón: Der Protest ist ein in der Verfassung verbrieftes Recht und muss respektiert werden.

STANDARD: Wie sind Ihre derzeitigen Beziehungen zur Regierung?

Padrón: Sie sind eingefroren. Vorige Woche kam eine Regierungsdelegation und hat uns ihren Vorschlag zur Verfassungsgebenden Versammlung präsentiert und wollte ihn mit uns diskutieren. Wir entgegneten höflich, dass wir nicht über ein Projekt diskutieren wollen, das wir für überflüssig halten, sondern über die Notlage der Bevölkerung.

STANDARD: Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt in Ihrem Land?

Padrón: Ja, diese Befürchtung haben wir. Und die Repression kommt von der Regierung, die die tödlichen Waffen hat.

STANDARD: Welche Lösung für diesen Konflikt sehen Sie?

Padrón: Es gibt zwei Szenarien. Zum einen, dass die Opposition und die Regierung einsehen, dass die Lösung in den Händen beider liegt und sie zusammen den Weg einer Lösung beschreiten müssen. Zum anderen, dass die Regierung ihren Kommunalstaat nach kubanischem Modell durchsetzt und damit die Demokratie beerdigt.

STANDARD: Ist die Opposition bereit für eine schwierige Transition?

Padrón: Die Opposition sollte sich dem Volk annähern. Die Anführer sind in den letzten Wochen etwas näher an die Realität gerückt, haben sich an die Spitze der Proteste gestellt und sind selbst Opfer der Repression und Einschüchterungen geworden. Aber das reicht noch nicht. Zum anderen müssen sie die Logik der Wahlen hinter sich lassen und dem Land ein strukturiertes Zukunftsprojekt vorlegen.

STANDARD: Wird die Aussöhnung nicht schwierig werden?

Padrón: Nein. Unsere Bevölkerung ist nicht nachtragend und sehr offen für Aussöhnung. Wir sind sehr solidarisch. Dann hat dieses Land enorme Reichtümer. Und es lehrt uns unsere Geschichte, dass wir dann erfolgreich sind, wenn wir unseren Verstand einsetzen. (Sandra Weiss aus Caracas, 2.6.2017)