Schneller, weiter, höher – die Gefahr dabei ist abzustürzen.

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Noch mehr Aufgaben übernehmen, dafür noch besseres Feedback erhalten. Drei Kilometer weiter laufen, ein noch aufwendigeres Gericht kochen: Selbstoptimierung, beruflich wie privat, ist der Zeitgeist. Jeder versucht permanent, die bestmögliche Version von sich selbst zu sein. Und das hat einen Grund: Leistung wird gemessen, gefordert und belohnt. Welche Folgen das hat, wurde diese Woche an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Open Minds" diskutiert. Auf dem Podium: WU-Professor Michael Meyer, Caritas-Mitarbeiterin Elke Beermann und Unternehmer Julian Hadschieff.

Letzterer berichtete eingangs von seinem eigenen Lebensweg: der schweren Sehbehinderung, dem Entschluss, sich davon nicht von einem Wirtschaftsstudium abhalten zu lassen. Er erzählte von seinen Unternehmensgründungen und seiner derzeitigen Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender. Hadschieff ist außerdem begeisterter Bergsteiger und Paralympics-Teilnehmer im österreichischen Behindertenskiteam. "Geht nicht, gibt's nicht", ist sein Motto.

Vom Wollenkönnen

Um Hindernisse überwinden zu können, ist der Unternehmer überzeugt, brauche es einen Willen zum "kontinuierlichen Streben": "Mir ist das auch nicht in den Schoß gefallen. Mir war klar, dass ich für diesen Weg viel einbringen muss", sagt Hadschieff.

Aber kann wirklich immer jeder wollen können? Neben günstigen persönlichen Eigenschaften, Merkfähigkeit, Fleiß, Ausdauer, brauche es gewiss auch Unterstützung, räumt Hadschieff ein, "das richtige Elternhaus".

"Es ist nicht immer die eigene Leistung, die über gewisse Positionen entscheidet", sagt auch Michael Meyer. Kompetenzen seien in der Gesellschaft recht ungleich verteilt. "Das ist das Unsympathische am Leistungsdenken", so der Leiter des Instituts für Non-Profit Management an der WU.

Außerdem, das zeigen Studien des Elitenforschers Michael Hartmann, ist für manche Menschen selbst bei den besten Voraussetzungen irgendwann Schluss: Ab einer gewissen Hierarchiestufe entscheiden offenbar Kriterien wie das Auftreten über den Aufstieg. Und da umgibt sich Gleiches gern mit Gleichem – Entscheider, meist aus gutbürgerlichen Schichten, vergeben Posten an jene, die ihnen ähneln.

Leistung setze schließlich auch immer Leistungsfähigkeit voraus, wirft Beermann ein. Etwa könnten psychische Krankheiten dafür sorgen, "dass jemand nicht mehr können und nicht mal mehr wollen kann".

Erfolg ist auch subjektiv

Ein Bewerten nach Leistung wird damit schnell zum Abwerten jener, die nicht mithalten können. Mit diesen Menschen hat Beermann als Leiterin des Bereiches Hilfe in Not bei der Caritas Wien zu tun. Zu betonen, dass das Menschen sind, "denen man es nicht gleich ansieht", dass sie Probleme haben, ist ihr wichtig. Wie geholfen werden kann? Durch bedingungslose Hilfe und Unterstützung. "Jeder kann einmal Fehler machen."

Diese Hilfe übernähmen häufig Freiwillige, deren Leistung häufig ebenfalls nicht ausreichend geschätzt wird. Freiwilliges Engagement, ebenso wie die Pflege von Kindern, Alten und Haushalt: alles Tätigkeiten, die oftmals zu gering geschätzt würden. Obwohl sie für Einzelne und Wirtschaft essenziell sind.

Leistung scheint aber nicht nur recht willkürlich festgelegt, sondern auch schwer messbar. Meyer: "Im Sport gibt es einen Sieger, aber im Leben?" Dort sei Fleiß das Einzige, das man wirklich bemessen kann.

Zudem sind Erfolge noch stärker subjektiv. Freut sich der eine, überhaupt einen Job zu haben, ist der andere nur mit einem Chefposten zufrieden.

Sich die Latte allzu hoch zu legen, sei jedenfalls nicht ratsam, da sind sich die Podiumsgäste einig. "Das ist das beste Unglücksrezept", sagt Meyer. Eine übertriebene Leistungsorientierung im Job führe mitunter dazu, dass jemand bei Entscheidungen zu lange zögert. Sich ständig mit den Besten zu vergleichen, demotiviert nachweislich. Auch die Gefahr für Burnout ist höher. Leistung hat also natürliche Grenzen. (Lisa Breit, 9.6.2017)