Ohne die Flasche auskommen lernen: Tabletten können das Craving, also das Verlangen nach Alkohol, dämpfen und sind Teil einer individualisierten Therapie.

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Wien – Alkohol als Substanz ist seit Jahrtausenden für seine entspannende, angstlösende Wirkung bekannt. Trinken wirkt als soziales "Schmiermittel" – man ist lustig, ein bisschen enthemmt. Bis zu 500.000 Österreicher sind süchtig danach, aus Sicht der Medizin sind sie alkoholkrank.

Dieser Krankheit liegt aber keine Willensschwäche zugrunde, immer genauere molekularbiologische Untersuchungen erkennen in Alkoholismus eine Krankheit des Gehirns. Die Folgen sind dramatisch: Wissenschafter der Uni Bonn weisen 27 Krankheiten nach, die unmittelbar auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen sind. Alkoholkranke verlieren bis zu 20 Jahre der durchschnittlichen Lebenserwartung.

Wichtig ist daher, in die Alkoholkrankheit, die sich meist über Jahrzehnte schleichend aufbaut, möglichst früh einzugreifen, um irreversible Schäden zu vermeiden. Meist vergehen vom Auftreten erster alkoholbedingter Symptome bis zur Diagnose zehn Jahre. In der Diagnostik wird mittlerweile zwischen "Frühstadium" und "Spätstadium" unterschieden. Beim "beherrschbarem Zustand" der Krankheit wird seit einigen Jahren versucht, mit Medikamenten das sogenannte Craving, die Gier nach Alkohol, zu dämpfen. Acamprosat (Campral) ist ein Anti-Craving-Mittel, auf das allerdings nicht jeder Patient reagiert.

Alkoholzufuhr reduzieren

Naltrexon (Revia) dagegen greift in den Endorphinstoffwechsel ein und dämpft das Belohnungssystem im Gehirn, das bei der Krankheit auch eine Rolle spielt. Es macht nicht abhängig, Gewöhnungseffekte sind nicht bekannt. Das nur noch selten eingesetzte Disulfiram (Antabus) wirkt nicht gegen die Gier, sondern verhindert den Abbau von Alkohol. Wer dann trotzdem trinkt, erlebt unangenehme Folgeerscheinungen wie Übelkeit oder Kopfschmerz. Die Idee: Wer das Medikament einnimmt und die Folgen kennt, trinkt weniger.

Nalmefen (Selincro) ist ein Opioidantagonist. Laut klinischer Wirksamkeitsstudien soll die Einnahme von 18 Milligramm die Zahl der Tage, an denen die Teilnehmer in einem Monat hohen Alkoholkonsum hatten, auf ein Drittel senken. Das Medikament wird von der Krankenkasse aber trotz dieser guten Ergebnisse nicht bezahlt, eine Tatsache, die Suchtexperten massiv kritisieren.

Gegen die Gier wirkt auch der altbekannte Arzneistoff Baclofen (Lioresal). Er gehört zur Gruppe der Muskelrelaxantien und wurde von einem alkoholkranken französischen Kardiologen im Selbstversuch getestet. Selbst Konsumenten einer Flasche Wodka pro Tag sollen damit in die Nähe der Abstinenz gekommen sein. Wichtig: Der Einsatz von Medikamenten muss unter ärztlicher Aufsicht erfolgen und wird auf jeden Patienten individuell angepasst.

Technische Lösung

Auch die Technik beschäftigt das Thema: Wissenschafter der Universität San Diego haben einen Alkoholsensor entwickelt, der in einem abwaschbaren Tattoo auf den Unterarm geklebt wird. Darin befindet sich eine Minidosis Pilocarpin, ein Stoff, der die Schweißproduktion anregt. Die Elektronik am Sensor misst den Gehalt von Ethanol, dem Wirkstoff im Alkohol, der den Rausch verursacht. Via Bluetooth könnte dann eine SMS an den Empfänger geschickt werden: "STOP!" (Manfred, Rebhandl, 6.7.2017)