In Paraguay wird auf 3,2 Millionen Hektar Soja angebaut.

Foto: Sandra Weiss

Dreimal haben sie ihn vertrieben, zusammengeschlagen und sogar ins Gefängnis gesteckt, dreimal kam José-Luis Centurion wieder. Jetzt haust der 29-Jährige in einem Zelt und bestellt zehn Hektar Land in der Kleinbauerngemeinde San Juan im Osten Paraguays. Bohnen, Yuca, Mais und Bananen sind sein ganzer Stolz und die Lebensgrundlage für seine Familie. Doch es sieht nicht gut aus für ihn. Die Sojabohne ist in der Provinz Canindeyú auf dem Vormarsch. Und Kleinbauern können ihr nicht standhalten.

Zwischen der Kleinstadt Puente Kyjá und San Juan erstrecken sich die Soja-Monokulturen bis zum Horizont. 40 Grad im Schatten, fast kein Baum, kein Vogel, kein Zirpen der Zikaden, nur eine einförmig grüne Wüste. Ein unangenehm stechender Geruch reizt die Schleimhäute. Ein Traktor mit einem kranähnlichen Aufsatz versprüht Glyphosat von Monsanto, der US-Firma, die bald vom Chemieriesen Bayer geschluckt wird. Monsanto Paraguay ist bislang der Bitte um ein Interview nicht nachgekommen.

Die Pflanzungen beginnen direkt neben der Lehmpiste, kein Zentimeter darf verschenkt werden – obwohl laut Gesetzgebung eigentlich Baumbarrieren die Straßen und Siedlungen schützen sollten. Das Gesetz wurde erlassen, als 2003 der elfjährige Silvino Talavera starb, einen Tag nachdem er radelnd auf dem Heimweg mit Glyphosat besprüht wurde. Die verantwortlichen Sojabauern wurden zu zwei Jahren Haft verurteilt – auf Bewährung. Ein Kinderleben zählt nicht viel im Sojarausch.

Die Hälfte der 500 Kleinbauern hat San Juan inzwischen verlassen. Sie vermieteten oder verkauften ihr Land an Sojabauern, Widerspenstige wurden gewaltsam vertrieben, weil die Sojabarone mit gefälschten Landtiteln Räumungsbefehle erwirkten. Andere erkrankten durch den massiven Pestizideinsatz in der Monokultur oder verzweifelten, weil ihre Produkte gegen billige Importlebensmittel nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Kleinbauern wie Centurión haben im Modell der industriell hochgerüsteten, kapitalintensiven und gentechnisch veränderten Agroexport-Landwirtschaft keinen Platz. Gensoja, das vor allem als Viehfutter nach Europa exportiert wird, ist unter 150 Hektar nicht rentabel.

Wenige besitzen viel Land

900.000 Kleinbauern haben nach Schätzungen der vom kirchlichen Hilfswerk Misereor unterstützten Forschungseinrichtung Base IS im vergangenen Jahrzehnt ihr Land verloren. Die meisten leben heute in den Elendsgürteln rund um die Hauptstadt Asunción. Diejenigen, die die Hoffnung auf ein Stück Land noch nicht aufgegeben haben, besetzen es und leben in Zelten wie Centurion. Als Mahnmal der Ungerechtigkeit in einem Land, das Agroprodukte für über 60 Millionen Menschen exportiert, in dem man aber als Landwirt kein selbstbestimmtes, würdiges Leben führen kann.

Für Politiker und Volkswirtschafter ist das ein Erfolgsmodell. Seit der Umstellung auf Soja wuchs das Land um knapp fünf Prozent jährlich. Die Armut ging durch Sozialprogramme der Regierung zwar zurück, doch ein Viertel der Bevölkerung ist weiterhin arm: Der Gini-Index, der die soziale Ungleichheit misst, verschlechterte sich seit 1990. Paraguay ist laut Base IS schon heute eines der Länder mit der höchsten Landkonzentration weltweit. 2,6 Prozent der Großgrundbesitzer kontrollieren 85,5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Derzeit wird auf 3,2 Millionen Hektar Soja angebaut. Die diesjährige Ernte verspricht einen neuen Rekord. "Keine Dürre, wenig Schädlinge", sagt José Bereader zufrieden. Er ist Präsident der Kammer der Agroexporteure von Getreide- und Ölprodukten (Capeco). In seinem klimatisierten Büro in Asunción jongliert er mit Zahlen: "Pro Hektar erzielt Soja einen Gewinn von 500 US-Dollar", erzählt er und ergänzt: "Wir exportieren rund neun Millionen Tonnen Bohnen, Öl, Mehl und Pellets." Der Export schwemmte 2016 rund 2,8 Milliarden Euro in die Kassen der Sojabarone – praktisch steuerfrei. Einkommenssteuern gibt es erst seit 2012. Weil Steuerhinterziehung aber nicht verfolgt wird, erwirtschaften die Agrarexporteure zwar 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie der Ökonom Victor Raúl Benítez vorrechnet, aber sie zahlen nur zwei Prozent des Steueraufkommens. "Unser Staat raubt sozusagen den Armen, um den Reichen zu geben", kritisiert der Universitätsprofessor.

Der Sojaboom war eine Idee der Multis. 2003 schaltete der Schweizer Konzern Syngenta eine Anzeige, in der von der "Vereinten Soja-Republik" die Rede war. Einem 46 Millionen Hektar großen Sojaanbaugebiet zwischen Brasilien, Bolivien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Syngenta bewarb damit seine gentechnisch veränderten Samen. Vorreiter aber war Monsanto, das in den 90er-Jahren die berühmte, gentechnisch manipulierte und glyphosatresistente Soja Roundup Ready (RR) entwickelte. Sie wurde in Paraguay, Brasilien und Argentinien erst als Schmuggelgut vertrieben und breitete sich nach der offiziellen Zulassung rasant aus.

Die ölreiche Hülsenfrucht galt als Wunderwaffe. Als Rohstoff für Agrosprit, vor allem aber als Viehfutter für die wachsende und zunehmend nach Fleisch lechzende Weltbevölkerung. Dank Gentechnik, direkter Aussaat und passgenauer Pestizide schnellte der Ertrag auf bis zu drei Tonnen pro Hektar in die Höhe.

Auf seinem Vormarsch verschlang Soja alles, was im Weg war: Wälder (mehr als zehn Millionen Hektar wurden entwaldet), Wildtiere, indigene Schutzgebiete, Landarbeiter, die durch Maschinen ersetzt wurden, und zuletzt die Familienbetriebe der Bauern. Die Vielfalt wich einer industriell bearbeiteten Wüste, auf die jedes Jahr 20,5 Millionen Liter Pestizide niedergehen.

Heute muss Paraguay den Löwenanteil seiner Lebensmittel importieren. "Ich lebe seit 18 Jahren hier. Früher war das ein kleines Paradies mit Wald, fruchtbaren Böden, klaren Flüssen", erzählt der Direktor der Sekundarschule von San Juan, Roberto Baez. "Heute ist es viel heißer, und man kann wegen der Pestizide nicht mehr im Fluss baden, ohne einen Ausschlag zu bekommen." Bauern klagen, dass ihre Hühner und Schweine sterben, wenn die Pestizide zu ihnen wehen. Viren seien schuld, entgegnen Regierungsbeamte. Einen Tierarzt, der das untersuchen könnte, gibt es nicht.

19 von 1000 Babys sterben

Am örtlichen Gesundheitsposten sind die Statistiken ebenfalls diffus. "Als Pestizidvergiftungen werden nur akute, eindeutige Fälle vermeldet", sagt Krankenpfleger Carlos Acosta. "Ausschläge, Atemwegsinfektionen oder Nierenerkrankungen, die hier sehr häufig sind und mit Pestiziden in Zusammenhang stehen könnten, haben eine eigene Rubrik." Kausalitäten herzustellen ist wissenschaftlich knifflig.

Eine der wenigen, die in Paraguay dazu forscht, ist Stela Leite, Kinderärztin am Universitätskrankenhaus von Asunción. Noch ist ihre Studie nicht fertig, in der sie das Blut der Kinder von San Juan auf Tumormarker untersucht hat. Leite hat aber in den Statistiken beunruhigende Zahlen gefunden: "Paraguay hat mit 19 pro 1000 eine sehr hohe Säuglingssterblichkeit, verursacht an erster Stelle durch Infektionen und an zweiter durch Missbildungen, was vor einigen Jahren noch an vierter Stelle stand." Zum Vergleich: In Österreich verstarben im Jahr 2013 rund 3,1 von 1000 Lebendgeborenen.

Die wissenschaftliche Debatte wird mit harten Bandagen ausgefochten. Verkaufsschlager der in Paraguay eingesetzten Pestizide ist Glyphosat, das von der Weltgesundheitsorganisation 2015 nach langjährigen Studien als "vermutlich krebserregend" eingestuft wurde. Ein Jahr später ruderten die Experten zurück. Es sei unwahrscheinlich, dass Nahrungsmittel, die Reste von Glyphosat enthielten, Krebs erzeugten oder dass Glyphosat Veränderungen im Erbgut auslöse.

In der EU konfrontiert die hitzige Debatte um ein Verbot von Glyphosat Umweltschützer und die Agroindustrie. Doch die Sojapioniere in Paraguay treibt längst ein anderes Problem um: die zunehmende Resistenz des Unkrauts gegen Glyphosat, wie Capeco-Präsident Berea einräumt. Nachdem die Bauern erst die Dosis erhöhten, kommen nun giftigere Pestizidcocktails zum Einsatz. (Sandra Weiss aus San Juan, 3.6.2017)