Über 700 Verletzte im Zuge der seit Anfang April anhaltenden Demonstrationen zählt die Staatsanwaltschaft in Venezuela bereits. Um sie kümmern sich oft die freiwilligen Grünhelme-Helfer.

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Medizinstudentin Federica Davila begleitet die Proteste.

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Jedes Mal, wenn Federica Davila das Haus verlässt, schickt ihre Mutter ein Stoßgebet zum Himmel. Seit fast zwei Monaten geht die 23-jährige Medizinstudentin dann nämlich nicht zur Universität, wie die vier Semester davor, sondern zu einem nur Eingeweihten bekannten Treffpunkt. Dort sammeln sich die Grünhelme Venezuelas, wie sie wegen des grünen Kreuzes auf weißem Grund genannt werden. Sie sind eine Gruppe von rund 200 Freiwilligen, die bei den Protesten erste Hilfe leisten und Verletzte abtransportieren: Krankenschwestern und Studenten, die Seite an Seite mit Chirurgen und Professoren arbeiten.

Die meisten von ihnen besuchen die staatliche Universität (UCV). Seit zwei Monaten gehen sie regelmäßig an die Front der Proteste – direkt dorthin, wo sich Demonstranten und Polizei eine Schlacht mit Tränengasbomben, Gummigeschoßen, Steinen und Molotowcocktails liefern. Die Grünhelme leben gefährlich. Ein 24-jähriger Helfer starb bereits im Einsatz in der Erdölstadt Maracaib. Es war ein schwerer Schlag für die jungen Studenten.

Der Glaube, dass in diesem Konflikt die Integrität der humanitären Helfer respektiert werde, löste sich in Luft auf. "Vor jedem Protest gehen wir immer zu den Polizisten, erklären ihnen unsere Arbeit und bieten auch ihnen unsere Hilfe an", erzählt Davila. Aber die Stimmung in Venezuela ist derart polarisiert und aufgeladen, dass die Polizei der Zivilgesellschaft und damit auch den Grünhelmen misstraut. Oft entlädt sich der Hass auch gegen sie. "Einmal hat die Polizei einen unserer Pick-ups umzingelt, die Scheiben zertrümmert, Tränengasbomben ins Innere geworfen und unsere Mitarbeiter verprügelt", schildert Davila.

Wie für den Krieg gerüstet

Die Grünhelme, trainiert von internationalen Experten für humanitäre Einsätze in Kriegsgebieten, beobachten das Geschehen und folgen einem strengen Protokoll, wenn sie einen Verletzten entdecken: Mindestens zu dritt dringen sie in die "rote Gefahrenzone" vor, prüfen, ob die Verletzten vor Ort behandelt oder in die etwas ruhigere "grüne Zone" zu den Ärzten gebracht werden sollen. Ausgerüstet sind Davila und ihre Kommilitoninnen – hauptsächlich junge Frauen – wie für einen Krieg: Gasmaske, Helm, ein Rucksack mit Wasser, ein Bauchbeutel mit Nadel und Faden, Mullstreifen, Desinfektionsmittel, Handschuhe, Antibiotika-Creme und eine Sprühflasche mit einer Mischung aus Wasser und Maalox gegen Sodbrennen. "Das hilft super gegen Erstickungsanfälle bei Tränengas", sagt sie.

Davila gehörte 2014 zu den Gründerinnen der Grünhelme, als es schon einmal gewaltsame Proteste gegen die Regierung gab und 43 Demonstranten ums Leben kamen. Danach ebbten die Konfrontationen ab. Nachdem die Regierung im April das Parlament entmachten wollte, begannen sie von neuem, und die Grünhelme mussten sich hastig neu organisieren. Was nicht einfach war: Zwei Drittel der Studenten von damals hatten das Land zu dem Zeitpunkt bereits verlassen. Aber es fanden sich neue Freiwillige, nicht nur in Caracas, auch in den Provinzen.

Wie vielen Menschen sie bislang geholfen hat, weiß Davila nicht genau, die Krankheitsbilder aber hat sie verinnerlicht: Traumata und Erstickungszustände sowie offene Wunden und Brüche. Über 700 Menschen wurden seit Beginn der Proteste nach Angaben der Staatsanwaltschaft verletzt. Manchmal müssen die Grünhelme Kindergärten und Spitäler wegen Tränengases evakuieren, wenn die Sicherheitskräfte dort Randalierer vermuten oder wenn Barrikaden in der Nähe sind.

Wann ihr Einsatz ein Ende hat, ist nicht abzusehen. Präsident Nicolás Maduro möchte eine neue Verfassung, am Freitag hat er darüber ein Referendum angekündigt – mit ungewissem Datum. Davila will sich nicht entmutigen lassen. "Mein Traum ist, dass mir in der Aula Magna der UCV mein Diplom überreicht wird." (REPORTAGE: Sandra Weiss aus Caracas, 3.6.2017)