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Theresa May: "Genug ist genug".

Foto: Reuters/McKay

Zum dritten Mal binnen drei Monaten, zum zweiten Mal innerhalb von knapp zwei Wochen trat Theresa May am Sonntag vor ihren Amtssitz in der Downing Street, um sich nach einem Terroranschlag an die Nation zu wenden. Wie nach der Attacke auf die Arena-Konzerthalle in Manchester verkündete die Premierministerin auch diesmal eine Unterbrechung des Wahlkampfes. Dies gebiete der Respekt vor den Opfern – sieben Tote, 48 Verletzte, von denen viele mit dem Tod ringen.

Der ehrenhafte Hinweis auf die Opfer und die Geste zu ihren Ehren kam allerdings erst ganz zum Schluss einer Ansprache, die zuvor auf schamloseste und dümmliche Weise Politik gemacht hatte. "Genug ist genug" – dieser Satz ist von ähnlicher Sinnentleertheit wie Mays monatelanges Mantra "Brexit bedeutet Brexit". War es nicht genug, dass junge Briten im Juli 2005 Hunderte von Menschen in der Londoner U-Bahn und einem Doppeldecker-Bus in die Luft sprengten, 52 töteten und Hunderte mit teils lebenslangen Verletzungen zurückließen? War es nicht genug, dass junge Briten 2013 ihren unbewaffneten Altersgenossen Lee Rigby auf offener Straße mit dem Auto überfuhren und anschließend erstachen? War es nicht genug, dass ein junger Mann aus Manchester 22 Kinder, Jugendliche und deren Eltern nach einem Popkonzert ermordete?

"Vier-Punkte-Programm"

May glaubte wohl, hässliche Emotionen auffangen zu müssen. Das muss sie als Premierministerin ohne Zweifel. Es nützt aber nichts, am Tag nach einer erneuten islamistischen Bluttat einige auf der Hand liegende Tatsachen und Handlungsanweisungen aufzuzählen und dies als "Vier-Punkte-Programm" zu verkaufen. Man wurde den Verdacht nicht los: Es sprach eine Politikerin, deren Gerede von der "starken und stabilen" Führung im Wahlkampf zunehmender Panik gewichen ist.

Es sprach auch die von 2010 bis 2016 amtierende Innenministerin, die von eigenen Versäumnissen in der Terrorbekämpfung ablenken will. So hat die Koalitionsregierung 2011 die Kontrolle Terror-affiner Muslime, die bisher keiner Straftat überführt werden konnten, aus Bürgerrechtsgründen entschärft. Dass dies auf Drängen des liberalen Koalitionspartners geschah, kann für die damalige Ressortchefin nicht als Entschuldigung gelten. Notfalls hätte May aus Protest von ihrem Amt zurücktreten müssen.

Einsparungen bei der Polizei

Hochrangige ehemalige Polizeiführer bedankten sich am Sonntag höflich für das gebetsmühlenartig wiederholte Lob der Politiker für den raschen und beherzten Einsatz der Einsatzkräfte. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass die harten Einsparungen am Polizeibudget unter Mays Ägide als Innenministerin Folgen haben. Gekürzt wurde nicht zuletzt bei den Streifenbeamten, deren enge Verbindung zur Bevölkerung oftmals wertvolle Hinweise auf mögliche Extremisten erbringt. Gekürzt wurde allzu lang auch bei den Spezialeinheiten, die anders als der normale Bobby mit Schusswaffen ausgerüstet sind. Inzwischen wollen die Konservativen die Polizei wieder besser ausrüsten. Das ist willkommen.

Womit es nun genug sein soll? Die Premierministerin nannte vier Punkte:

Großbritannien müsse den islamistischen Extremismus besiegen und aus den Köpfen der Menschen verbannen. Eine lobenswerte Absicht, aber wie geht das?

Im Verbund mit anderen Demokratien will May die Internet-Giganten stärker unter Druck setzen, damit Rückzugsräume für Islamisten enger werden. Das ist gewiss eine wichtige Absicht. Wie schwierig aber die Umsetzung im Detail ist, lässt sich an deutschen Bemühungen ablesen, Holocaust-Leugner im Internet der Strafverfolgung zuzuführen. Und wie gelingt die Abgrenzung zu staatlicher Zensur à la China oder Russland? Dazu kam von May kein Wort.

Hochbrisant und von elementarer Bedeutung ist Mays dritter Punkt: Es gebe auf der Insel "viel zu viel Toleranz gegenüber dem Extremismus". Wenn sie damit nicht die 30 Jahre lang zurückliegenden Sympathiebekundungen des Labour-Oppositionsführers Jeremy Corbyn für irisch-republikanischen Terrorismus meint – zuzutrauen wäre May auch das -, hat die Premierministerin die Apologeten des radikalen Islam im Visier. Diese jammern stets viel über die sogenannte Islamophobie und fordern Respekt für ihre Religion. Gleichzeitig dulden sie in den eigenen Reihen Frauenverachtung, grassierenden Antisemitismus und die Abgrenzung von westlichen Werten.

Hier besteht ohne Zweifel Handlungsbedarf. Hier kommen die "schwierigen und häufig unangenehmen Gespräche" zum Tragen, von denen May spricht. Eine Frage könnte lauten: Sollte man Leute, die im Ausland für eine mörderische Abart des Islam kämpfen, wieder ins Land lassen? Es geht um einen geduldigen, langwierigen Prozess. An dessen Ende, hofft die Premierministerin, sollten die Menschen nicht länger in Ghettos nebeneinander herleben, sondern ein "wirklich vereinigtes Königreich" bilden. Das ist ebenso wünschenswert wie unrealistisch.

Viertens will die Regierung über mögliche Gesetzesmaßnahmen nachdenken, unter anderem über längere Gefängnisstrafen für Extremisten aller Art. Diese Idee fällt unter die Rubrik alberner Schnellschuss.

Wenn nicht alles täuscht, werden die letzten Tage vor dem von Theresa May mutwillig vom Zaun gebrochenen vorzeitigen Urnengang einer Debatte über den islamistischen Terrorismus gewidmet sein. Dazu bedarf es inhaltlich substanzieller Beiträge. Einen solchen hat die Premierministerin am Sonntag nicht geliefert. (Sebastian Borger, 4.6.2017)