Israelische Soldaten und orthodoxe Juden an der Klagemauer.

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Israels Verteidigungsminister Moshe Dayan nach der Eroberung Ostjerusalems (mit Helm und Augenklappe)

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6. Juni 1967: Ein israelischer Soldat bewacht ägyptische Gefangene nach dem Vorstoß israelischer Panzerverbände auf dem Sinai.

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Der im Dezember 2016 im Berliner Exil verstorbene syrische Philosoph Sadiq J. al-Azm pflegte zu erzählen, wie er in den Tagen nach dem Ende des Sechstagekriegs das Radio aufdrehte und sich durch die Stationen der arabischen Länder suchte: Er fand nur noch religiöse Sendungen. Da die Niederlage der arabischen Armeen ganz und gar unerklärlich war, ja nicht einmal so genannt werden durfte, musste sie islamisch transzendiert werden. Die arabische Welt begab sich auf den Weg in ein neues Desaster, in den Islamismus.

Alle anderen "Ismen" – die Spielarten des arabischen Nationalismus und Sozialismus – hatten versagt, keiner hatte Israel besiegen können, es begann der Aufstieg des politischen Islam. Der größte Held so vieler Araber, Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser, hatte versprochen, die 1948 verlorene arabische Ehre wiederherzustellen. So sagte er vor dem Krieg, am 9. Juni teilte er als gebrochener Mann mit, dass der Krieg verloren sei.

Das Unglaubliche war ja, erzählen Zeitzeugen, dass sich die Ägypter, deren Luftwaffe am ersten Tag zerstört wurde, bis dahin keinerlei Vorstellungen über das Ausmaß des Debakels gemacht hatten. Man war etwas erstaunt gewesen, als von "heftigen" Kämpfen berichtet wurde: War doch versprochen worden, dass der Sieg über Israel ganz schnell und leicht sein würde. Die gelenkten Medien gaben keinerlei Hinweis darauf, was an den Fronten wirklich vor sich ging.

Nasser darf nicht gehen

Nasser verkündete seinen Rücktritt, worauf hundertausende auf die Straßen strömten und für seinen Verbleib demonstrierten. Der Traum war zwar zu Ende, an dem, der ihn vertreten hatte, wurde verzweifelt festgehalten. Drei Jahre später kamen zu seinem Begräbnis fünf Millionen Menschen, es gab hysterische Szenen. Das Versagen, die Inkompetenz wurde allein der Armee zugeschoben. Vereinzelt wurden aus dem Krieg heimkehrende ägyptische Soldaten beschimpft. Der Selbstbetrug ging also weiter. 2017 markiert nicht nur das 50-Jahr-Jubiläum des Sechstagekriegs, sondern auch des Gipfels der Arabischen Liga in Khartum. Die "drei Nein" in Artikel 3 der Resolution von 1. September wurden und werden als Dokument des absoluten arabischen "Rejektionismus" gelesen: "kein Friede mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel". Israel hatte demnach niemanden, mit dem es über eine Rückgabe der eroberten Territorien reden konnte – und begann Siedlungen zu bauen.

Aus neueren Forschungen ist bekannt, dass die arabischen Führer jedoch sehr wohl wussten, dass die Zeit der Träume – das Verschwinden Israels von der Landkarte – vorbei war, und es für die arabischen Länder nur noch darum ging, das Ergebnis des Kriegs zurückzurollen. Hinter den Kulissen wurde das auch so kommuniziert. Der Öffentlichkeit war das jedoch nicht zuzumuten.

Gekommen, um zu bleiben

Aber auch das israelische Narrativ, dass das Westjordanland heute nur deshalb von Siedlungen überzogen ist, weil die Araber damals nicht mit Israel reden wollten, ist unvollständig. Es gab sehr wohl auch jene, die der Meinung waren, dass Israel befreit hatte, was ihm gehöre: Einer, der sie vertrat, war der spätere Premier Menachem Begin, damals Minister ohne Portfolio in der Regierung Levi Eshkol. Das erschließt sich etwa aus Ende Mai vom israelischen Onlinemedium Ynet veröffentlichten Gesprächsprotokollen des israelischen Kabinetts.

Dennoch, die Araber vergaben nach 1967 eine große Chance, mit Israel ins Reine zu kommen – vor allem versäumten sie jedoch, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Sadiq J. al-Azm, 1967 junger Universitätslehrer in Beirut, schrieb ein Buch, dessen Titel eine Aufforderung war: Selbstkritik nach der Niederlage. Es ist eine harte Abrechnung mit den arabischen Eliten und ihrer Unfähigkeit, sich ehrlich mit den Realitäten auseinanderzusetzen. Der Sechstagekrieg war eben keine gottgewollte Naturkatastrophe, gegen die man nur beten konnte, sondern eine Folge von Inkompetenz und intellektueller Unredlichkeit. Überflüssig zu sagen, dass das Buch bei den Adressaten nicht gut ankam.

Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt: Der Ruf "Der Islam ist die Lösung" hat die großen Helden des arabischen Nationalismus abgelöst. Präsident Anwar al-Sadat, der für Ägypten die Halbinsel Sinai, auf der heute ein Krieg mit Islamisten tobt, durch einen Friedensschluss mit Israel zurückholte, wurde ermordet – wie vierzehn Jahre später der israelische Ministerpräsident Jizchak Rabin, der mit den Palästinensern und mit Syrien in Verhandlungen trat.

Bis heute sagt niemand den Palästinensern, die in der Diaspora leben, dass es kein Rückkehrrecht geben wird. Die Arabische Liga hat 2002 Israel den vollen Frieden angeboten im Tausch gegen einen Palästinenserstaat in der Waffenstillstandsgrenze von 1949, die bis 1967 galt. Natürlich wissen die arabischen Politiker, dass es einen Staat in solchen Grenzen nicht geben wird. Aber das ist einmal mehr dem arabischen Publikum nicht zuzumuten. (Gudrun Harrer, 5.6.2017)