Bratislava ist nur 45 S-Bahn-Minuten von Wien entfernt – die Laufreise aber mehr als wert

Das Problem heißt Nähe. Schließlich liegt Bratislava nur 55 Kilometer von Wien entfernt. Und während das anderswo ein Grund für regen Pendelverkehr zwischen zwei attraktiven Orten wäre, ist Wien eben anders: Obwohl die Zugfahrt in die slowakische Hauptstadt weniger lang dauert als das Öffi-Herumgondeln in manche Ecken Wiens und mit 8,80 Euro (Vorteilscard) durchaus leistbar ist, liegt die 400.000-Einwohner-Stadt nach wie vor unterhalb des Radars der meisten Wienerinnen und Wiener. Das hat historische Gründe, liegt aber auch an der Trägheit der Wiener. Kombiniert ergibt das das Bratislava-Bild, das auch ich habe: Wenn ich in Wien mit dem Rad von der Tangentenbrücke auf die Donauinsel komme, könnte ich genauso gut nach rechts abbiegen. Trotzdem geht es nach links. Immer. Donauaufwärts – nach Tulln. Wieso? Keine Ahnung.

Foto: Thomas Rottenberg

Zum Glück habe ich aber auch einen echten Beruf. Und der bringt mich manchmal anderswohin. Etwa nach Bratislava: 45 Minuten mit der S-Bahn, dann ein oder zwei Meetings – und zurück nach Wien. Das geht sich mehr als aus. Der Haken daran: Genau genommen war ich seit Jahren nicht in Bratislava. Soll heißen: Außer Zug, Weg zum Termin und Konferenzzimmer bekomme ich von der Stadt, der Burg, den Brücken und dem Ambiente genau nichts mit: Ich weiß, dass es hier Theater, Oper und Museen gibt. Ich weiß, dass es eine lebendige Restaurant- und Lokalszene gibt. Ich weiß, dass man hier am Sonntag einkaufen gehen könnte. Ich weiß, dass man mit dem Schnellboot oder dem Twin City Liner rasch und komfortabel hin und zurück kommt. Käme. Doch das ist Theorie. In der Praxis bin ich zwischen 13 und 14 Uhr wieder in Wien: Bratislava findet unterhalb meines Radars statt.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Fehler liegt bei mir. Ausschließlich. Ich mag Fehler: Sie sind einer der Gründe, sich selbst zu hinterfragen, zu analysieren und etwas zu ändern. Oder bewusst zu entscheiden, dass man bequem und gut mit ihnen leben kann. Das ist dann auch okay.

In Sachen Bratislava sah meine Entscheidung anders aus: nach dem Meeting vom Business- ins Laufgewand – und drauf los gelaufen: So groß und unübersichtlich, dass man sich richtig verirren könnte, ist Bratislava ja nicht. Aber um das Bild ein bisserl aufzufrischen, ging es zunächst mal die Stiegen rauf. Über die Stadt.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn die Burg, in deren Schutz die erste größere und dauerhafte Siedlung hier um das Jahr 1000 entstanden sein soll (die Besiedlung reicht allerdings weiter zurück), liegt 85 Meter über der Stadt – und bietet einen phänomenalen Ausblick. Nicht nur über den historischen Kern, sondern auch auf und über die Donau. Hinunter auf die 1972 eröffnete "Most Slovensko", die Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes mit dem charakteristischen Ufo-Restaurant auf dem zentralen Brückenpfeiler, weiter zu den in der kommunistischen Ära entstandenen Plattenbauten und den nicht minder hässlichen Shoppingzentren der Zeit danach.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Weg zurück in die Stadt hat dann ein bisserl was von Laufen in Salzburg rund um den Mönchsberg. No na: Festung oben, Fluss unten. Dazwischen verwinkelte, teils steil ansteigende Gasserln mit niedrigen, alten und malerischen Häusern, die ihr Flair und ihren Charakter nicht zuletzt dadurch bewahrt haben, dass man das Kopfsteinpflaster nie ersetzt hat. Die Touristen fluchen zwar ein bisserl, wenn das Gehen ein bisserl mühsam ist – aber anders wäre von Romantik und Authentizität wohl nichts übrig.

Dass ein Siterun quasi vor der Haustür bei mir Assoziationen an Salzburg – doch ein bisserl weiter weg – weckt, war und ist bezeichnend. So wie der Umstand, dass alle meine Freunde die bildlose Erzählung nachvollziehen konnten, sobald ich "Salzburg" sagte.

Foto: Thomas Rottenberg

Bratislava touristisch zu erkunden dauert nicht lange. Nicht, wenn man es so anlegt wie der klassisches Städtetourist, der sich nach einem kurzen Blick in einen Online-Reiseführer (und sei es bloß die kurze, aber informative Wikipedia-Seite) zu Fuß einmal über die Haupttrampelpfade wälzt, dann in ein Kaffeehaus geht und Kirchen, Museen und andere Kulturbauten nur von außen mitbekommt. Da ist man mit der Stadt in zwei oder drei Stunden locker fertig. Hakerl drunter – und ab zum nächsten touristischen Ziel. Wien zum Beispiel.

Laufend mache ich es aber nicht anders. Nicht, weil mich das Innere von Kirchen & Co nicht interessiert – sondern aus Respekt vor den Bauten und den Menschen darin: Vom Laufen verschwitzt und dampfend im Dom muss echt nicht sein.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Stadt wird das aber natürlich nicht gerecht. Doch es macht Lust auf mehr. Insbesondere weil im historischen Kern Bratislavas kaum Ketten- und Fastfoodrestaurants oder die die Fußgängerzonen anderer Städte so öd gleichmachenden internationalen Textil- und sonstigen Mega-Stores zu finden sind: Das gibt es in Hülle und Fülle außerhalb des Zentrums. Aber hier drinnen ist alles klein und lieb und nett und zierlich. Oder tut zumindest so: Ein bisserl wie Salzburg – allerdings nicht so gnadenlos verkitscht und überlaufen. Bratislava fehlt dazu ganz eindeutig ein Mozart. Oder eine Getreidegasse. Schnösel. Und Festspiele. Ich begrüße das. Ausdrücklich.

Foto: Thomas Rottenberg

Statt der Salzach hat man hier – wieder: no na – die Donau. Mit feinen Promenaden, Anlegestellen für Kreuzfahrt, Restaurant und Hotelschiffe – und fünf Brücken. Die Most Slovensko ist eine Autobahnbrücke, unter der man – ähnlich wie in Wien unter der Tangentenbrücke oder der Reichsbrücke – unterhalb der Fahrbahn am Rad- und Gehweg den Fluss queren kann. Oben, mit Blick auf das Ufo, laufen kann man hier nur (ähnlich wie in Wien auf der Reichsbrücke) beim lokalen "Wings for Life"-Run und – vermutlich, ich habe es nicht nachgeprüft – beim Stadtmarathon. Die zweite der fünf Donaubrücken, die "Alte Brücke" ("Starý Most") ist in Wirklichkeit die jüngste: Sie wurde 2016 (wieder)eröffnet – und hat links und rechts wunderhübsche Panorama-Rad- und -Spazierwege.

Foto: Thomas Rottenberg

Städtetouristisch hat das andere, rechte Donauufer relativ wenig zu bieten: Ein bisserl Vergnügungs- und Gokartpark, Grünland, Restaurants und Bistros an, am und neben dem Fluss, der Zugang zum Ufo. Aber da ist schon noch etwas: Der Gegenschuss zum Panorama von der Burg über Stadt, Fluss und Land. Der Blick über die Donau hinüber zur alten Stadt und zur Burg hoch über ihr. Und plötzlich wirkt Bratislava dann gar nicht mehr nur klein und possierlich, sondern wie eine richtige, ausgewachsene Stadt.

Foto: Thomas Rottenberg

Also wie eine Stadt, in der man als Tourist innerhalb kurzer Zeit alles tun kann und soll, was man als Tourist eben tun kann und soll. Etwa das Pflichtfoto neben dem aus dem Kanaldeckel herausguckenden neugierigen "Gaffer" machen. Oder Bilder mit und neben all den anderen im Stadtbild verteilten touristisch relevanten Versatzstücken urbanen Mobiliars. Etwa der Hans-Christian-Andersen-Statue oder den Hochrädern oder anderem Selfie-Hintergrund-Tand.

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Egal ob laufend oder spazierend: Bratislava kann was. Und lässt sich ganz hervorragend als kleine Zwischendurchflucht aus dem Wiener Alltag inszenieren: 45 Minuten dauert die Fahrt mit dem Zug. Das zahlt sich auch für einen kleinen Siterun aus.

Obwohl: In Wirklichkeit ist es aber schade drum, dann nicht länger zu bleiben. Den Abend hier zu verbringen. Zu zweit nett essen zu gehen, eventuell zu übernachten und den Tapetenwechsel zu genießen. Und dann – es muss ja nicht einmal das Wochenende sein – am nächsten Morgen mit der S-Bahn zurück nach Wien zu fahren und rechtzeitig im Job aufzuschlagen. So, als wäre man nie fort gewesen – obwohl man es war.

Aber das ist dann eigentlich eine andere Geschichte. (Thomas Rottenberg, 7.6.2017)


Mehr Lauf- und Trainingsgeschichten gibt es auf www.derrottenberg.com.

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