Das Jubiläumsjahr 2018 steht vor der Tür, und das Land, voran der Altbundespräsident Heinz Fischer als Koordinator, bereiten sich auf allerhand Gedenkveranstaltungen vor: 1918, aber auch 1938. Hundert Jahre Republik – was feiern wir da eigentlich? Einen Triumph der Demokratie? Oder das Ende einer großen Epoche österreichischer Geschichte?

Vor kurzem fand in Wien eine Historikerkonferenz mit dem Titel "Forgetting the Monarchy – Empire, Socialism and the Jews" statt. Der Vorsitzende war der in den USA lehrende israelische Professor Malachi Halcohen. Dessen nur auf den ersten Blick überraschende These: Sozialisten und Juden gehörten zu den wesentlichsten Kräften, die das habsburgische Vielvölkerreich zusammenhielten. Eine Tradition, die auch Bruno Kreisky miteinschloss. Die Konferenzteilnehmer sahen einen Filmausschnitt, in dem Kreisky erklärte, die Sozialdemokratie, in allen Kronländern vertreten, sei damals "die einzige staatstragende Partei" gewesen. Kreisky-Biograf Oliver Rathkolb erinnerte an die Stelle in Kreiskys Memoiren, in denen der spätere Bundeskanzler schildert, wie er und andere mitteleuropäische Emigranten in Schweden gemeinsam das "Gott erhalte" sangen – nicht aus Habsburger-Nostalgie, sondern aus dem Bewusstsein historischer Verbundenheit heraus. Und natürlich gehört auch der berühmte Händedruck Kreisky / Otto von Habsburg anlässlich einer Paneuropa-Konferenz in dieses Kapitel.

Hundert Jahre nach dessen Ende scheint es, dass die Rückbesinnung auf das Habsburgerreich nicht eine Hinwendung zu Monarchie und Kaiserglanz bedeutet, sondern zu seiner europäischen und übernationalen Dimension. Multikulturalismus versus nationalen Chauvinismus, Europäertum versus Kleingeisterei. In einer Zeit, in der nicht nur Donald Trump "America first" verkündet, sondern analog auch viele einheimische Politiker "Österreich zuerst", klingt das alles durchaus aktuell.

Die gleiche Debatte, unter Politikern wie unter historisch Interessierten, spielt sich gegenwärtig auch in unseren Nachbarstaaten ab. Die Namen Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczynski stehen für engstirnigen Nationalismus. Aber vor der jüngsten Wahl in Polen wurde dort eine Ausstellung über das ehemalige k. u. k. Kronland Galizien gezeigt, die das Erbe des habsburgischen Vielvölkerreichs positiv in Erinnerung rief. Im tschechischen Parlament sitzen derzeit als Abgeordnete ein Schwarzenberg, ein Lobkowicz und ein Czernin, alles Mitglieder historischer Familien mit einem aus der Monarchie stammenden Hintergrund. Undenkbar im österreichischen Parlament.

Nicht, dass wir in Österreich die Habsburgermonarchie vergessen hätten. Es gibt jede Menge Kaiserbücher und Sisi-Souvernirs, Schönbrunn und Bad Ischl bieten Führungen an, die an Kaisernostalgie und Kaiserkitsch nichts zu wünschen übrig lassen. Das ganze Thema gehört, wie die Mozartkugeln, in die Rubrik Fremdenverkehr. Das ist vermutlich unvermeidlich. Aber ist das wirklich alles, was uns zum Thema österreichische Geschichte einfällt?

Das Jubiläumsjahr 2018 ist eine Gelegenheit zu einer differenzierteren Betrachtung unserer Vergangenheit, einerseits Völkerkerker, andererseits übernationaler Rechtsstaat. Manchmal braucht es, wie bei der jüngsten Historikerkonferenz, Gelehrte aus Übersee, die uns daran erinnern. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 7.6.2017)