35 bis 40 Jahre lang werden Frauen in Nepal regelmäßig verstoßen.

Foto: APA/AFP/PRAKASH MATHEMA

Kathmandu/Dubai – Eine Holzleiter führt zu einer kleinen, dunklen Hütte über dem Kuhstall. Einmal im Monat verbringt Chandra vier Tage an diesem unheimlichen Ort abseits ihres Hauses. Sie weiß, dass es keinen wirklichen Grund gibt, während ihrer Periode ausgestoßen zu sein, sagt sie. Doch sie hat die Geschichten von sterbendem Vieh oder erkrankten Familienmitgliedern gehört: "Um der Gesundheit meiner Kinder und meines Mannes zuliebe muss ich in die Hütte gehen", sagt sie.

Chandra wohnt im Accham-Distrikt im Westen von Nepal, einer abgelegenen Gegend, wo immer noch Chaupadi betrieben wird: die Kultur der Isolation von Frauen in gebärfähigem Alter. Frauen gelten während ihrer Periode als unrein und unberührbar. Ihnen werden magische Kräfte zugeschrieben, die Unheil über die Menschen, Tiere und das Land bringen können.

Gefahren ausgesetzt

Rund 35 bis 40 Jahre ihres Lebens werden daher Frauen jeden Monat bis zu eine Woche lang verbannt. Entweder müssen sie in einer Hütte in der Nähe ihres Hauses wohnen wie Chandra, doch manchmal werden sie auch weiter weg an abgelegene Plätze oder in einen Wald geschickt. Dort sind sie auf sich allein gestellt und besonderen Gefahren ausgesetzt: von Schlangen über Feuer bis hin zu Übergriffen und Vergewaltigungen. Ende vergangenen Jahres kamen in Accham zwei Frauen kurz nacheinander während des Chaupadi ums Leben. Eine 15-Jährige starb in einer Winternacht im Dezember an einer Kohlenmonoxidvergiftung durch Ofendämpfe, eine 26-Jährige wurde von ihren Verwandten tot in ihrer Hütte gefunden.

Menstrationstabus sind ein weltweites Phänomen. In Europa herrschte noch bis in die frühe Neuzeit die Ansicht, dass Frauen während ihrer Periode gefährlich seien: dass die Berührung einer menstruierenden Frau Wein, Bier und Milch verderbe und Pflanzen sterben lasse. In abgemilderter Form lebt solcher Aberglaube in Meinungen fort, dass Frauen nicht für Führungspositionen geeignet seien, weil sie zu hormonellen Stimmungsschwankungen neigten, oder etwa einem Marathonlauf nicht gewachsen seien.

Gesetzliches Verbot

Doch in Ländern wie Nepal hat sich das Tabu in seiner strengen Form gehalten. Chaupadi wurde zwar 2005 gesetzlich verboten, aber selbst in der Hauptstadt Kathmandu hält sich unter aufgeklärten, gebildeten Frauen das Stigma: Nicht wenige vermeiden den Tempelbesuch oder Gebete zur Zeit ihrer Periode.

Die 24-jährige Dambara Regmi, die als Gesundheitsberaterin für die Hilfsorganisation Possible in Krankenstationen in Achham arbeitet, versucht Frauen davon zu überzeugen, diese Praxis zu beenden. Sie sollen verschweigen, wenn sie ihre Periode haben, und sich weigern, in die Hütte zu gehen. Die NGO beklagt, dass Chaupadi zwar verboten sei, doch die Behörden noch keine Familie verfolgt hätten, die dies praktizieren.

Im Accham hat Nepals Regierung nun an den Landstraßen Schilder aufgestellt, die vor den Gefahren des Chaupadi warnen. Seit 2007 sind nach Angaben lokaler Hilfsorganisation mindestens acht Frauen in der Chaupadi-Isolation gestorben. Doch die Tradition stirbt nur langsam. (Agnes Tandler, 9.6.2017)