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Getretener Quark wird breit, nicht stark, schrieb ein gewisser Herr Goethe seinerzeit. Dennoch scheint die russische Breitspurbahn derzeit stark im Kommen zu sein. Das zumindest war nach dem Kanzlerbesuch in St. Petersburg zu vernehmen.

Foto: REUTERS/Maxim Zmeyev

Der russische Präsident Wladimir Putin wird in Österreich verehrt und hofiert. Österreichische Politiker fühlen sich von ihm angezogen, und zwar nicht nur die antieuropäischen Rechten, sondern auch Politiker der traditionellen Parteien.

Außenminister Sebastian Kurz verneigt sich vor Putin, indem er Österreich zum Land zwischen Ost und West erklärt, als ob wir noch im Kalten Krieg lebten und Österreich nicht längst Mitglied der Europäischen Union wäre. Innenminister Wolfgang Sobotka streitet kurzerhand ab, dass die russischen Cyberangriffe auf die westlichen Demokratien ein Problem seien. Bundeskanzler Christian Kern schließlich widmet sich laut dem STANDARD in St. Petersburg dem Projekt einer Breitspurbahn von der ukrainisch-slowakischen Grenze bis Wien, wo man sich vom Umladen von Gütern auf Donauschiffe oder Normalspurzüge einen Gewinn erwartet. Besagte Bahn muss dabei als Teil der putinistischen Propaganda und nicht als sinnvolles Unterfangen verstanden werden.

Worum geht es? Im Großteil Europas, in China, Nordamerika und anderen Teilen der Welt sind die Eisenbahnen in Normalspur (1435 mm) ausgeführt. Auf keiner anderen Spurweite fahren schnellere und schwerere Züge. George Stephenson traf eine zukunftsweisende Entscheidung, als er vor bald 200 Jahren diese Spurweite wählte. Die Normalspur hat sich für den Personen- und Güterverkehr als optimal herausgestellt. Deswegen wird sie auch in Japan, Nordafrika, im Nahen Osten und auf der Iberischen Halbinsel für Neubaustrecken verwendet, obwohl dort andere Spurweiten gebräuchlich waren. Die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Polen in die baltischen Länder soll ebenfalls normalspurig gebaut werden.

Die russische Breitspur ist mit 1520 mm nur um 85 mm breiter als die Normalspur und hat ihr gegenüber keine technischen Vorteile. Ihre einzige Funktion ist die der politischen und militärischen Abgrenzung. Deutlicher unterscheidet sich die indische Breitspur (1676 mm) von der Normalspur, ohne dass sich daraus Vorteile ergäben. Noch breitere Spuren existierten, wurden aber mit unbedeutenden Ausnahmen bereits im 19. Jahrhundert zugunsten der Normalspur aufgegeben.

Wenn es um technische Praktikabilität und wirtschaftlichen Nutzen ginge, würde Russland die Transsib auf Normalspur umstellen und nicht versuchen, sein Breitspurnetz nach Westen zu erweitern, wie es die Sowjetunion seinerzeit tat. Das von China verfolgte Projekt einer neuen Seidenstraße mit durchgehenden Zugsladungen nach Europa behilft sich mit neuen Umladeterminals, die Container von chinesischen Normalspurzügen rasch auf russische Breitspurzüge umladen und an der russischen Westgrenze wiederum auf europäische Normalspurzüge. Eine Breitspurbahn durch die Slowakei wäre eine immense Geldverschwendung, weil sie lediglich den Umladeort nach Westen verschieben würde. Für die wenigen Fertigwaren, die Russland exportiert, ist sie gewiss nicht notwendig. Dazu kommt, dass die bestehende slowakische West-Ost-Magistrale mit erheblicher Unterstützung durch die EU modernisiert wird.

Und da wäre noch eine Kleinigkeit, die die österreichischen Putin-Freunde verdrängen. Die Slowakei grenzt nicht an Russland, sondern an die Ukraine, die bei dem Projekt wohl ein Wörtchen mitzureden hätte. Das ukrainische Bahnnetz ist in russischer Breitspur ausgeführt, wobei die ehemals österreichischen Teile der Westukraine ursprünglich normalspurig waren. Ob es für die Ukraine einmal interessant wird, Neubaustrecken in Normalspur zu bauen, wird sich weisen.

Putins breitspuriger Versuchung sollte Österreich jedenfalls widerstehen, auch wenn sich vielleicht der Wiener Hafen einen Umsatzzuwachs verspricht oder Parndorf im Burgenland seinen Ruf als Handelsmetropole festigen möchte. Österreich sollte ein verlässlicher europäischer Partner sein, statt sich um eines hypothetischen Vorteils willen mit einem gefährlichen Aggressor zu verbrüdern. Verkehrspolitische Fragen mit europäischer Dimension sollten im europäischen Rahmen bearbeitet werden. (Georg Rigele, 8.6.2017)