"Mein ältester Kunde ist 91. Der möchte einfach einmal in den Arm genommen werden. Das Manko an Berührung ist sehr groß", erzählt eine Sexualbegleiterin.

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Sex im Alter ist in unserer jugendfixierten Gesellschaft für viele immer noch ein Tabu. Doch das ändert sich gerade: In "All the Sex I've ever Had" bei den Wiener Festwochen gab kürzlich eine Gruppe von SeniorInnen offenherzig die Erfahrungen ihres Liebes- und Sexlebens preis. Die Vorstellungen in Wien waren allesamt ausverkauft, auch bei Aufführungen in Bern, Singapur, Glasgow und Toronto war der Abend mit LaiendarstellerInnen (Konzept und Regie: Darren O'Donnell) ausgebucht. Es gibt also ein reges Interesse an dem Thema im künstlerischen Kontext.

Wie aber schaut es im Alltag aus? Was, wenn der demenzkrankte Großvater im Pflegeheim auf einmal unkontrolliert seine sexuellen Bedürfnisse zeigt? Oder ein körperlich oder geistig beeinträchtigter Mensch seine Sexualität leben oder einfach einmal berührt werden möchte? In einigen europäischen Ländern wie Deutschland und der Schweiz gibt es dafür bereits seit vielen Jahren sogenannte BerührerInnen. Auch in Österreich wird mittlerweile Sexualbegleitung angeboten.

Oral- und Geschlechtsverkehr sind tabu

Sexualbegleitung unterscheidet sich von anderer Sexarbeit, auch Zungenküsse, Oral- und Geschlechtsverkehr sind tabu. "Sexualbegleitung ist eine Methode der Begegnung", erklärt Margit Schmiedbauer, Lebensberaterin und Mediatorin von Alpha Nova, der "Fachstelle hautnah für Sexualität, Beziehung, Behinderung". "Sie ist achtsam und im Dialog, ein unverbindliches Kennenlerngespräch ist verpflichtend, eine Ausbildung ist erforderlich, das wirtschaftliche Interesse ist nachrangig." Im Rahmen von drei Lehrgängen habe man mittlerweile 18 Personen ausgebildet, 14 Frauen und vier Männer.

Die Menschen, die Sexualbegleitung in Anspruch nehmen, sind überwiegend Männer. Schmiedbauer: "Zu zwei Dritteln Männer, zu einem Drittel Frauen. Es sind Menschen mit intellektueller und/oder körperlicher Beeinträchtigung ab dem 18. Lebensjahr. Durchschnittlich 250 KundInnen haben rund 1.000 Begegnungen im Jahr." Frauen wünschten sich in der Regel "eine intensivere Begegnung und mehr Beziehung".

"Begegnung" und nicht "Sex" heißt es deswegen, "weil die Definition von Sex in der Gesellschaft so eng und meist auf Geschlechtsverkehr reduziert ist", sagt Schmiedbauer. "Sexualität ist aber viel mehr", sagt Schmiedbauer. Dies bestätigt auch eine aktuelle Studie der Medizinuniversität Wien, die die Bedeutung guter Kommunikation für guten Sex unterstreicht.

Von der Ausgrenzung zur Inklusion

Schmiedbauer bezweifelt auch, dass die Sexualität von Menschen mit körperlichen oder sonstigen Beeinträchtigungen wirklich noch ein Tabu ist. "Mit dem Paradigmenwechsel in der Haltung zu diesen Menschen, die sich von der Ausgrenzung zur Inklusion entwickelt, wird auch ihre Sexualität zunehmend zur Normalität." Ihre Fachstelle habe dazu seit 2009 österreichweit sehr intensive Sensibilisierungsarbeit geleistet, so Schmiedbauer.

"Im Bereich der institutionellen Arbeit für Menschen mit Behinderung gibt es mittlerweile eine hohe Toleranz und Sensibilität für Sexualbegleitung – und auch einen hohen Bedarf." Im Fall der alten und/oder pflegebedürftigen Menschen sei hierzulande aber noch viel zu tun. Fast jeder und jede zweite Altersheimbewohner/in fühlte sich laut einer Studie "in seinen sexuellen Bedürfnissen" eingeschränkt. Die österreichische Gesellschaft zur Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit nimmt sich demnächst des Themas Sexualität im Alter an. Am 17. und 18. November 2017 wird es auch dazu einen interdisziplinären Kongress in Wien geben.

Prostitutionsgesetz gilt

Sexualbeleitung, wie sie über die Beratungsstelle Alpha Nova angeboten wurde, ist nicht kostenlos. Eine Begleitung kostet zwischen 80 und 100 Euro. "Seit Mai 2017", sagt Schmiedbauer, "wird Sexualbegleitung von behördlicher Seite unter das Prostitutionsgesetz fallend gehandhabt. Die meisten unserer Sexualbegleiterinnen lassen sich aber nicht als 'traditionelle SexarbeiterInnen' registrieren." Der Grund seien die damit verbundenen, alle sechs Wochen sattfindenden Untersuchungen, die laut Schmiebauer "bei Ausschluss von Geschlechtsverkehr und Schleimhaut-zu-Schleimhaut-Kontakten nicht angemessen sind."

In der Folge musste Alpha Nova mit Mai 2017 alle Angebote rund um seine Sexualbegleitung einstellen. Die SexualbeleiterInnen müssen sich jetzt jeweils überlegen, ob sie unter diesen Umständen, also bei für sie geltendem Prostitutionsgesetz, weiterarbeiten wollen. In den einzelnen Bundesländern sind die Regelungen von Prostitution in Österreich unterschiedlich, weil Registrierungspflicht und zeitliche oder örtliche Beschränkungen in Landesgesetzen geregelt sind. Es bestehen regionale Werbeverbote, so etwa in der Steiermark, dem Sitz von Alpha Nova. Am strengsten ist die Regelung in Vorarlberg.

Manko an Berührung

"Dass ich mich alle sechs Wochen untersuchen lassen muss, obwohl Sexualbegleitung keinen Geschlechtsverkehr oder Schleimhautkontakt umfasst, verstehe ich nicht", sagt die Sexualbegleiterin Makia. "Sobald das Wort Sex fällt, wird man in eine Schublade gesteckt. Aber ich mache weiter, an meiner Arbeit ändert das nichts", fügt sie hinzu. Sie arbeitet in diesem Job seit 2008/2009, hat also sehr viel Erfahrung damit, was Sexualbegleitung ausmacht: "Ein gutes Einfühlungsvermögen ist entscheidend. Sehr wichtig ist auch das Vorgespräch, damit klar ist: Sind die Wünsche okay oder gibt es zu große Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden – das würde nämlich zu einer Enttäuschung führen. Oft geht es dann um die einfachen Dinge wie Kuscheln."

Ihre Kunden seien sehr verschieden: "Ihre Beeinträchtigungen sind sehr unterschiedlich, körperlich oder geistig, Demenz. Sie sind zwischen 60 und 70 Jahre alt, mein ältester Kunde ist 91. Der möchte einfach einmal in den Arm genommen werden. Das Manko an Berührung ist sehr groß. Da hilft es auch, jemandem über die Wange zu streichen und einfach da zu sein." (Tanja Paar, 11.6.2017)