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Nick Timothy und Fiona Hill gehen.

Foto: REUTERS/Peter Nicholls

London – Großbritanniens Premierministerin Theresa May steht nach dem Wahldebakel massiv unter Druck. Führende Konservative diskutieren Medienberichten zufolge über einen Sturz Mays, die nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Unterhauswahl mit den erzkonservativen nordirischen Unionisten weitermachen will. Ihre Kabinettchefs Nick Timothy und Fiona Hill nahmen am Samstag ihren Hut.

"Ich übernehme meinen Teil der Verantwortung für diesen Wahlkampf", erklärte der für das konservative Wahlprogramm zuständige Timothy auf der Internet-Nachrichtenseite ConservativeHome. Dort gab auch Hill ihre Entscheidung in einer knappen Stellungnahme bekannt. "Ich habe keine Zweifel, dass Theresa May weiter als Premierministerin dienen und hart arbeiten wird – und zwar brillant", fügte die Ko-Stabschefin hinzu.

Erfinder der "Demenzsteuer"

Timothy und Hill waren der Regierungschefin schon in ihrer Zeit als Innenministerin von 2010 bis 2016 zur Seite gestanden. Medienberichten zufolge hatten sie großen Anteil an der verkorksten Wahlkampagne. So soll Timothy hinter dem Vorhaben gestanden sein, ältere Menschen für die Kosten ihrer Pflege aufkommen zu lassen ("Demenzsteuer"), was May massive Kritik in der konservativen Presse bescherte und zu einem peinlichen politischen Schwenk nötigte.

Die Rücktritte ihrer Topberater dürften kaum den Druck von May nehmen, eher im Gegenteil. Nach einem Bericht des "Telegraph" eruieren Parteimitglieder wie Außenminister Boris Johnson, Innenministerin Amber Rudd und Brexit-Minister David Davis, ob sie als Regierungschefin ersetzt werden sollte. Der "Sun" zufolge wollen hochrangige Mitglieder zwar definitiv einen anderen Premier. Ein Sturz der Regierungschefin solle jedoch erst frühestens in sechs Monaten herbeigeführt werden, da sonst Labour-Chef Jeremy Corbyn an die Macht kommen könnte.

Mays unsichere Zukunft

Führende konservative Politiker wollten sich öffentlich nicht auf die Zukunft Mays festlegen lassen. Es sei unmöglich zu sagen, ob sie Ende des Jahres noch Regierungschefin sein werde, sagte etwa der Abgeordnete David Jones der BBC. "Theresa May ist sicherlich die stärkste Anführerin, die wir im Moment haben." Sein Kollege Owen Paterson erklärte, man "muss sehen, wie es läuft". Er wies darauf hin, dass die Gespräche über den geplanten EU-Austritt Großbritanniens in wenigen Tagen beginnen sollen.

Weitgehend abgeschrieben wurde die Regierungschefin von Zeitungskommentatoren. Die "Times" schrieb, May stehe "vor dem Abgrund". Das Land sei "faktisch führungslos" und "so gut wie unregierbar". Auch die Boulevardzeitung "The Sun", die vor der Wahl massiv für May getrommelt hatte, titelte am Samstag: "Sie ist erledigt."

May wollte sich durch die vorgezogene Wahl ein noch stärkeres Mandat für die EU-Gespräche einholen. Stattdessen verloren ihre Konservativen die bisherige knappe absolute Mehrheit im Unterhaus. Großbritannien dürfte damit geschwächt in die Brexit-Verhandlungen gehen. Die Konservativen sind nun auf die Zusammenarbeit mit einer kleineren Partei angewiesen, die Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland.

Umstrittener Koalitionspartner

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Konservativen, Gavin Williamson, führte am Samstag in Belfast Gespräche mit der umstrittenen Democratic Unionist Party (DUP). Sowohl die Opposition als auch Abgeordnete aus Mays konservativer Tory-Partei verwiesen auf Vorbehalte der DUP gegen Homo-Ehe, Abtreibung und Klimaschutz. Die Aussicht auf einen Deal mit der DUP sei "schaurig", twitterte die Labour-Abgeordnete Jo Stevens.

Zuvor hatte der Konservative und ehemalige Nordirland-Minister Owen Paterson der BBC gesagt, dass seiner Partei eine Debatte über kürzere Abtreibungsfristen bevorstehen könne. Die Vorsitzende der Tories in Schottland, die in der Wahl stark hinzugewonnen hatten, holte sich bei May eine Garantie über die Rechte von Schwulen und Lesben ein. Ruth Davidson sagte, May habe ihr feste Zusagen gemacht.

Aus DUP-Kreisen verlautete jedoch, dass sich die Partei in gesellschaftlichen Fragen zurückhalten und stattdessen mehr Geld für Nordirland und Privilegien für Veteranen fordern werde. Politische Sprengkraft könnte das Begehren haben, dass britische Soldaten besser vor einer Strafverfolgung wegen der im Nordirland-Konflikt begangenen Tagen geschützt werden sollen. Die katholische Sinn Fein pocht nämlich darauf, dass Ex-Soldaten und frühere irisch-nationalistische Guerilla-Kämpfer gleich behandelt werden müssen.

Katholisch-republikanische Medien in Nordirland kritisierten am Samstag, ein Abkommen mit der DUP könne unionistische Kräfte bevorzugen und das zerbrechliche politische Gleichgewicht in dem Landesteil gefährden. Die Regionalregierung in Nordirland war im Jänner nach einem Streit über ein missglücktes Förderprogramm für Ökoenergie zerbrochen. (APA, Reuters, 10.6.2017)