Man kennt diese Fotos ja aus Kriminalfilmen: Die frisch Inhaftierten stehen vor einer hübschen Wand mit waagrechten Linien, die einen Anhaltspunkt für die Körpergröße der mutmaßlichen Kriminellen liefern. Dann werden die Fotos gemacht. Eine klassisches Porträt von vorne, zwei weitere, die das Profil der Täter festhalten. Und schon wandern die wenig inspiriert arrangierten Fotos, die auch Mugshots genannt werden, zu den Akten.

Mugshots können auch kunstvoll sein

Dass es auch anders geht, beweisen die außergewöhnlichen Fotos, die zwischen 1910 und 1930 in diversen australischen Gefängnissen aufgenommen wurden. Die etwa 2500 Bilder, die von unterschiedlichen Fotografen des New South Wales Police Department stammen, zeigen Mörder, Diebe, Kleinkriminelle und Prostituierte kurz nach ihrer Verhaftung. 

Die vier eleganten Herren wurden wegen Raubes an einem Buchmacher festgenommen (1921).
Foto: Sydney Living Museums

Die Fotos entwickeln ihren eigenen, ganz speziellen Reiz, weil die Inhaftierten in ihren privaten Anzügen und Kleidern vor die Kamera traten. Vielfach wurden – wie in einem Fotostudio – zusätzliche Hilfsmittel wie zum Beispiel Stühle ins Bild gebracht. Sehr speziell und einzigartig auch die Gruppenfotos wie das obige, in dem die vier Herren ganz locker, gut gekleidet und bestens gelaunt in die Kamera lächeln.

Mr. Cahill posiert und lächelt hintergründig. Details zu seiner Anklage sind nicht bekannt (1923).
Foto: Sydney Living Museums

Sehr bemerkenswert sind auch die außergewöhnlichen Perspektiven und Bildschnitte, die die Polizeifotografen vielfach wählten. Von erhöhtem Standpunkt, aber auch von einer weit unterhalb der Horizontlinie gelegenen Kameraposition aus, wurden manche Porträts aufgenommen. Außerdem kombinierten die Fotografen manchmal zwei Bilder, die die Inhaftierten im Porträt und in Ganzkörperpose zeigen – ein in der Geschichte der Mugshot-Fotografie vielleicht einmaliges Kuriosum.

Valerie Lowe und Joseph Messenger brachen in einen Stall ein, stahlen Sattel und Zaumzeug (1922).
Foto: Sydney Living Museums
Joseph Messenger – verurteilt wegen Einbruchsdiebstahl, gemeinsam mit Valerie Lowe.
Foto: Sydney Living Museums
Thomas Bede, der Mann, der die Augen nicht öffnet. Angeklagt wegen Bestechung (1928).
Foto: Sydney Living Museums
Pearl McFadden – wegen Prostitution zu sechs Monaten Haft verurteilt (1928).
Foto: Sydney Living Museums
Der elegante Sydney Skukerman mit Welle im Haar. So sehen Betrüger im Jahr 1924 aus.
Foto: Sydney Living Museums
George Whitehall, selbstbewusst am Morgen nachdem er seine Frau in Stücke gehackt hat (1922).
Foto: Sydney Living Museums
William Stanley Moore, Dressman und Opium-Dealer (1925).
Foto: Sydney Living Museums
Patsy Neill – auf den ersten Blick das brave Mädchen vom Lande. Diebstahl und Kokainbesitz (1930).
Foto: Sydney Living Museums
Die großen Augen von Vera Crichton – Verschwörung zur Herbeiführung einer Fehlgeburt (1924).
Foto: Sydney Living Museums
Posieren in der Toilette. Frederick Edward Davies – Diebstähle in Theatern und Kinos (1921).
Foto: Sydney Living Museums
Frank McGowan, Robert McFarlane und John Dennis McFarlane: Die fröhlichen Diebe (1921).
Foto: Sydney Living Museums
Der Autodieb Alfred Fitch im botanischen Umfeld. Bemerkenswerter Bildaufbau des Porträts (1924).
Foto: Sydney Living Museums
Eugene Falleni.
Foto: Sydney Living Museums

Die vielleicht erstaunlichste Geschichte verbirgt sich hinter dem Namen Eugene Falleni. Eugene wurde als Eugenia Falleni geboren, doch kleidete sie sich männlich und nahm eine neue Identität als Harry Leo Crawford, später als Eugene Falleni an. In Sydney verliebte er sich in Annie Birkett, eine Witwe, der er seine ganze Zuneigung spendete. Im Jahr 1917 jedoch scheint eine Nachbarin Annie mitgeteilt zu haben, dass der fesche Herr mit gutem Benehmen als Frau geboren worden war.

Bei einem Streit über dieses Thema stürzte Annie über einen Felsen, schlug sich den Kopf an und wurde ohnmächtig – dies gab jedenfalls Eugene beim Verhör an. Trotz seiner Wiederbelebungsversuche starb Annie. In seiner Verzweiflung, dass seine wahre Identität gelüftet werden könnte, falls Annies Tod genauer untersucht würde, versuchte Eugen die Tote unidentifizierbar zu machen: Er verbrannte die Leiche. Die Schuld an Annies Tod konnte ihm zunächst nicht nachgewiesen werden. Annie Birketts Sohn strengte jedoch wenig später einen Prozess an, in dessen Verlauf Eugene Falleni trotz Fehlens eindeutiger Beweise zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. 1931 wurde er vorzeitig entlassen und starb sieben Jahre später an den Folgen eines Verkehrsunfalls. 

Alles in allem ganz außergewöhnliche Porträts, die mitunter mehr an durchgestylte Model-Shootings als an Mugshots von inhaftierten Kriminellen erinnern. (Kurt Tutschek, 16.6.2017)

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