Bei Schwindel geraten Sinneswahrnehmungen durcheinander. Wendeltreppen sind prädestiniert dafür.

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"Oh Gott ... mir wird übel. Wasser her, oder ich vergehe." Als Martin Luther 1527 immer wieder von Schwindel, Brausen und Klingen im Ohr befallen wird, ist er überzeugt: Da muss der Teufel im Spiel sein. Doch seine Beschwerden waren so typisch, dass man ein höchst irdisches Problem dahinter vermuten kann: die Schwindelkrankheit Morbus Menière.

Jeder dritte Mensch leidet irgendwann in seinem Leben unter mittelstarkem bis heftigem Schwindel. Dafür die Ursache zu finden ist nicht einfach. "Einige haben Angst, sie hätten einen Schlaganfall oder einen Hirntumor", erzählt Benjamin Loader, Schwindelexperte am Ordinationszentrum Döbling in Wien. "In den allermeisten Fällen ist das aber nicht der Fall." Die Patienten hätten oft eine Odyssee von Arztbesuchen hinter sich, bis die Diagnose gestellt werde, erzählt Alexander Tarnutzer, Oberarzt am Schwindelzentrum am Uni-Spital Zürich und beschreibt verschiedene Schwindelarten.

Arten von Schwindel

Jenen einer 60-Jährigen, die drei Monate täglich unter sekundenlangen Schwindelanfällen litt, vor allem nachts, wenn sie sich im Bett umdrehte oder sich aufrichtete. Hielt sie den Kopf ruhig, hatte sie keine Beschwerden. Wenn der Kopf der sitzenden Patientin nach rechts gedreht wurde und sie sich mit dem Oberkörper nach hinten auf die Untersuchungsliege legen ließ, zuckten die Augen nach wenigen Sekunden nach links unten und langsam nach rechts oben.

"Nystagmus", diagnostiziert Tarnutzer. Ein gutartiger Lagerungsschwindel. Hierbei gelangen die Steinchen des Gleichgewichtsorgans in die Bogengänge und bringen die Sinneszellen durcheinander. Die Therapie ist einfach: Der Arzt dreht Kopf und Körper der auf dem Rücken liegenden Frau mehrmals um 90 Grad nach links und lässt sie dann wieder aufsitzen. "Damit werden die Steinchen aus dem Bogengang hinausbefördert und in eine unschädliche Position gebracht", erklärt er.

Ein anderer Fall: Einer 40-Jährigen ist fast täglich stundenlang schwindelig, sie fühlt sich wie auf einem schwankenden Boot. Gleichzeitig hat sie starke, pulsierende Kopfschmerzen, ihr ist übel, und sie kann helles Licht nicht ertragen. Tarnutzers Lagerungstests sind wie auch die Aufnahmen des Gehirns unauffällig. Die Symptome deuten allerdings auf Migräne des Gleichgewichtsorgans hin. In dieser Symptomlage kann ein Migränemedikament helfen, den Schwindel in den Griff zu bekommen.

Gleichgewicht verlieren

"Die Ursachen für Schwindel können überall im Körper stecken. Hat man neben dem Schwindel starke Kopf- oder Nackenschmerzen, sieht doppelt, kann nicht mehr sprechen oder sind Körperteile gelähmt, sollte man sofort in ein Spital", warnt Andreas Zwergal vom Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum an der Ludwig-Maximilians-Uni München. "Es gilt immer auch die Möglichkeit zu bedenken, dass ein Schlaganfall die auslösende Ursache ist."

Auch wenn Menschen bei sportlichen Aktivitäten schwindelt, ist ein Besuch beim Arzt ratsam. "Schwindel bei Anstrengung ist ein typisches Symptom einer Verengung der Aortenklappe", sagt Thomas Lüscher, Chefkardiologe am Uni-Spital Zürich. "Das Gehirn und damit das Gleichgewichtsorgan wird nicht mehr ausreichend durchblutet." Mit einem Herzkatheter oder mit einer Operation lässt sich die Klappe ersetzen, und der Schwindel verschwindet.

Immer wieder, wissen Mediziner, klagen auch junge Frauen über Schwindel. "Das liegt meist am niedrigen Blutdruck und ist harmlos. Ich empfehle regelmäßigen Sport, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ab und zu eine klare Suppe", so Lüscher.

Psyche als Auslöser

Schwindel kann auch psychiatrische Ursachen haben. Bei einer jungen Patientin in Bern waren die Blutdruckwerte jedoch normal. Sie spüre Atemnot während der Schwindelanfälle, erzählte sie Gregor Hasler, Chefpsychiater an der Uni-Klinik Bern, ihr Herz schlage zudem schnell, und sie habe Angst vor einer Hirnkrankheit.

"Jeder spürt ja einmal, dass er aus der Balance kommt", sagt Hasler, "die Frau achtete aber zwanghaft auf jedes kleine Gleichgewichtsproblem und interpretierte es als Symptom einer schweren Krankheit." Dieser Gedanke löste massive Angst aus, die Welt drehte sich. "Schwindel kann ein Zeichen von Angst sein", so Hasler. Eine kognitive Verhaltenstherapie half ihr, das Problem in den Griff zu bekommen.

Auch Morbus Menière kann Schwindel hervorrufen. Aus ungeklärten Gründen staut sich Flüssigkeit im Innenohr, es kommt zum Überdruck und zu Messfehlern der Gleichgewichtssensoren. Therapiert wird mit Medikamenten. Obwohl es diese zu Luthers Zeiten noch nicht gab, scheint ihn das in seinem Streben nach Reformation nicht gestört zu haben. (Felicitas Witte, 13.6.2017)

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