Die Mädchen liegen mit erhobenem Hintern auf Teppichen. Sie stehen mit knappen Höschen hinter Glaswänden. Greifen durch Löcher in Sperrholzplatten nach dem Geschlechtsteil des Kunden. 800 Fotos hat der japanische Fotograf Araki in dem Wälzer "Tokyo Lucky Hole" versammelt. Von Sexshows und Orgien, die meisten schwarz-weiß, die Geschlechtsteile durch schwarze Balken zensiert.

Es ist eine Welt von gestern, die hier dargestellt ist. Als Mitte der 1980er ein neues Gesetz die Schließung vieler Klubs erzwang, läutete dies das Ende der florierenden japanischen Sexindustrie ein. Arakis Fotografien aber gingen in die Kulturgeschichte ein, als Dokumentation einer Welt der Ausschweifungen, die bis heute (unter anderem dank eines Bildbandes im Taschen-Verlag) viele Bewunderer hat.

Vor 29 Jahren in Sofia geboren, lebt Mila Petrova seit ihrem 13. Lebensjahr in Wien.
Foto: Petrova

Eine von ihnen ist Mila Petrova (29), Studentin an der Modeklasse der Wiener Angewandten. Als sie das erste Mal in die Wohnung ihres Exfreunds kam, stach ihr Arakis 700-Seiten-Wälzer ins Auge. Die darin versammelten Porträts der Prostituierten und ihrer teils skurrilen Praktiken zeigen Frauen, die in der gesellschaftlichen Achtung zwar weit unten stehen, aber eine besondere Stärke ausstrahlen. "Sie wirken, als ob sie mit sich selbst eins wären", sagt Petrova und fährt sich durchs dunkle Haar.

Vor wenigen Tagen hat sie erfahren, dass sie den mit 3.000 Euro dotierten RONDO-Modepreis erhalten wird, der alljährlich an einen Absolventen der Modeklasse der Wiener Angewandten vergeben wird. Es ist eine der wichtigsten Auszeichnungen, die man als junger Modemacher in Österreich erhalten kann.

Jetzt sitzt Petrova beim frühmorgendlichen Kaffee und versucht die richtigen Worte für die von Arakis Bildern inspirierte Kollektion zu finden. Eine Kollektion, die gleichermaßen durch ihre Präzision wie durch ihre Unangestrengtheit besticht.

"Ich lasse meine Mode lieber durch sich selbst sprechen", sagt sie. Beziehungsweise durch die Bilder, die sie gemeinsam mit dem befreundeten Fotografen (und regelmäßigen Stylisten des RONDO) Max Märzinger geschossen hat. Anfang Mai flogen die beiden nach Sofia, im Gepäck Petrovas Kollektion. In der leerstehenden Wohnung der Großeltern fotografierten sie an zwei bulgarischen Models die unterschiedlichen Outfits, vor vergilbten Vorhängen und auf durchgesessenen Sofas.

Diese Fotostrecke wurde mit zwei Models in der ehemaligen Wohnung der Großeltern in Sofia fotografiert. Diese befindet sich nicht in diesem Haus.
Foto: Max Märzinger
Foto: Max Märzinger

Sofia meets Japan gewissermaßen, doch das ist etwas, das sich schon länger durch Mila Petrovas Leben zieht. Nach der Matura in Wien (Petrova kam mit 13 nach Österreich, ihre Eltern arbeiteten an der Botschaft) studierte sie erst einmal Japanologie und Sinologie. Letzteres zweieinhalb Jahre lang, bei Ersterem fehlt ihr nur noch die Diplomarbeit. "Irgendwann habe ich aber realisiert, dass ich eher der praktische Typ bin."

Also bewarb sie sich für die Modeklasse der Angewandten, die damals unter der Leitung des deutschen Mode-Rabauken Bernhard Willhelm stand (heute steht ihr Hussein Chalayan vor) – und wurde prompt genommen. Statt Vokabeln zu lernen, stand jetzt Schnittzeichnen auf dem Programm, statt japanischer Kulturgeschichte die Einarbeitung in die Modehistorie.

Die Strenge eines Nadelstreifsakkos ...
Foto: Max Märzinger
... trifft auf die Erotik eines beinahe durchsichtigen Seidenstoffes: Petrova spielt mit Gegensätzen.
Foto: Max Märzinger

Klar & pragmatisch

Eine Vorliebe für Japan ist Petrova geblieben – und die Bewunderung für vieles, was dieses Land ausmacht. Mit ihrem geradlinigen, pragmatischen Zugang unterscheidet sie sich aber markant von der überbordenden Modeverrücktheit, die vielen in Japan eigen ist. "Mode ist für mich Mode, nicht mehr und nicht weniger, sie ist ein sehr direktes und einfaches Mittel, etwas auszudrücken. Das Problem ist nur, dass sie immer wieder mit Kunst verglichen wird."

Und damit Erwartungshaltungen bestätigen muss, die kaum zu erfüllen sind. Statt des Überbaus interessiert Petrova das Unterfutter, statt der Interpretation die Verarbeitung. Jedes ihrer Kleidungsstücke ist perfekt genäht, keine Passform, die nicht sitzen würde. Petrova erfindet nicht die Mode neu, sie feilt an einem Stil, der in sich schlüssig ist und punktgenau zu ihr passt.

Mit braunlackierten Fingernägeln sitzt sie in der Morgensonne, an den Füßen Cowboystiefel, ein überdimensioniertes Nadelstreifsakko hängt ihr über den Schultern. Ein ganz ähnliches Jackett gibt's in ihrer Gewinnerkollektion, auch eine Bluse ist in einem ähnlichen Stoff gefertigt. An ihrem Ärmel findet sich eine Schlaufe wieder, die entfernt an Arakis Bilder von Bondage-Szenen denken lässt. Mehr an Abweichung von der Norm erlaubt sich Petrova nicht. "Ein perfektes Sakko zu nähen ist schwierig genug." Und bietet 1000 verschiedene Möglichkeiten, am eigenen individuellen Stil zu feilen.

Unterfutter statt Überbau: Mila Petrova legt in ihrer Kollektion Wert auf perfekte Verarbeitung.
Foto: Max Märzinger

Bei Petrova geschieht dies vorzugsweise durch die Auswahl der Stoffe (Cord, günstige Viskose- und hochwertige Seidenstoffe), der Farben (viel Schwarz, viel Weiß, ein Schuss Eidottergelb) und des Feilens am Schnitt (Überlängen treffen auf Kastenschultern). "Wichtiger als all diese Entscheidungen ist für mich aber immer die Frage, ob starke Frauen meine Kleidung tragen würden", so Petrova. Frauen wie jene, die Araki in seinem Bildband porträtiert. Die ihre Würde nicht verlieren, obwohl sie sich für Geld zu sexuellen Diensten hergeben.

Was man auf diesem Bild nicht sieht: Dieses überlange Cord-Jackett ist eidottergelb.
Foto: Max Märzinger

Nüchtern & emanzipatorisch

Petrova hat einen gleichermaßen nüchternen wie emanzipatorischen Zugang zur Mode. Sie weiß um die Macht der Bilder (selten inszeniert ein Student seine eigene Kollektion so eindrücklich), kennt die Abläufe im Modebusiness (im vergangenen Jahr arbeitete sie für den in Wien lebenden bulgarischen Modemacher Petar Petrov) und ist mit den Mechanismen der Medien und der Werbung vertraut (nebenher arbeitet sie als Stylistin).

Das ist wohl auch der Grund, warum sie den symbolischen Gehalt von Mode so hoch einschätzt. Auf einem Gürtel prangt das Wort "girls", mehrere Kleidungsstücke sind mit ihren Initialen bedruckt. "Das ist eine Art von Humor, die mich anspricht." Allzu ernst sollte man Mode nicht nehmen. Aber man sollte sich ihrer Bedeutung bewusst sein. (Stephan Hilpold, RONDO, 16.6.2017)

Max Märzinger fotografierte die Abschlusskollektion von Mila Petrova, der Gewinnerin des RONDO-Modepreises 2017.
Foto: Max Märzinger