Ein Archivbild aus dem Jahr 2008: Da galt Saif al-Islam Gaddafi noch als das freundliche Gesicht Libyens nach außen.

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Tripolis/Wien – Dass Saif al-Islam Gaddafi, der Sohn des 2011 gestürzten und getöteten libyschen Machthabers, tatsächlich frei ist, bestätigten zu Wochenbeginn kritische Stellungnahmen aus Libyen: Sie kamen nicht etwa von jenen islamistischen Milizen, die ihn, wenn sie seiner habhaft würden, wohl sofort umbrächten. Gespalten in der Sache ist auch die Stadt Zintan, wo Gaddafi inhaftiert war, sowie das östliche Parlament in Tobruk, auf dessen Amnestie sich die Abu-Bakr-al-Sadiq-Brigaden beriefen, als sie ihn freiließen. Der Zintaner Stadt- und Militärrat kritisierte die Freilassung, ebenfalls der Verteidigungsausschuss des Tobruker Parlaments.

Schon vor einigen Monaten waren Berichte aufgetaucht, dass die Haft Saif al-Islams in Zintan nur noch pro forma sei und dass er eher aus Sicherheitsgründen die Stadt nicht verlassen könne. Zintan, etwa 150 Kilometer südwestlich der libyschen Hauptstadt Tripolis gelegen, gehört, was die politischen Allianzen im gespaltenen Libyen betrifft, zum Osten: Die Zintaner Milizen unterstützen den aus dem Osten gegen die westlichen islamistischen Milizen agierenden General Khalifa Haftar. Nach Ostlibyen soll folgerichtig auch der freigelassene Saif al-Islam Gaddafi gegangen sein, in die Stadt Baida, wo die (nicht anerkannte) Ostregierung residiert.

Was wird er nun tun? Es gibt seit einiger Zeit Spins, die den Gaddafi-Sohn, der Ende Juni 45 Jahre alt wird, als Zukunftshoffnung für das in Chaos und Krieg abgerutschte Land lancieren wollen. Libyen-Experten, wie der österreichische Sicherheitsanalytiker Wolfgang Pusztai, sehen das skeptisch: "Falls er in die Politik einsteigt, wird das zu einer noch schärferen Polarisierung führen. ,Einigungsfigur‘_ist er sicher keine", sagt Pusztai zum STANDARD. Auch im Osten habe Saif al-Islam wenig Freunde: "Er ist ja einer der Hauptverantwortlichen für die Vernachlässigung des Ostens unter seinem Vater. Das hat man in der Cyrenaika nicht vergessen."

Überraschung?

Der Anwalt Gaddafis, Khalid al-Zaidi, hingegen verwies am Sonntag in Kairo auf dessen angebliche Popularität. Gaddafi führt offenbar Gespräche mit Politikern und Stammesführern besonders im Osten. Es kursierten Spekulationen über eine bevorstehende Ansprache, die eine "Überraschung" bringen würde. Die revolutionären Kräfte, die auch General Haftar – wie Abdulfattah al-Sisi in Ägypten – als Konterrevolutionär sehen, haben aber eher noch die martialischen Reden Saif al-Islam Gaddafis im Ohr, mit denen er sich 2011 voll an die Seite seines Vaters stellte.

Ein Gerichtshof in Tripolis verurteilte Saif al-Islam Gaddafi 2015 in Abwesenheit gemeinsam mit neun anderen Personen zum Tode: Zintan lieferte Gaddafi – der von den Zintaner Milizen im November 2011, einen Monat nach dem gewaltsamen_Tod seines Vaters, festgenommen wurde – aber weder vor noch nach dem Prozess aus. Aus Tripolis verlautete am Sonntag, das Urteil sei aufrecht. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verlangt wegen möglicher Kriegsverbrechen Gaddafis Auslieferung, sein Anwalt machte klar, dass sich sein Klient nicht stellen werde.

Karte im Katar-Poker

Man kann das Auftauchen Saif al-Islams aus der Versenkung durchaus auch im Kontext der aktuellen Golfkrise sehen: Die schlechten Beziehungen zwischen Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) haben in Libyen einen wichtigen Schauplatz: Katar – und die Türkei – unterstützen die den Muslimbrüdern nahestehenden islamistischen Bewegungen vor allem in Westlibyen, die VAE – und Ägypten – unterstützen Haftar, der sie bekämpft.

Mit Gaddafi, der immerhin noch Gewicht bei einigen – im allgemeinen Chaos an Bedeutung gewinnenden – Stämmen haben könnte, soll die östliche Front gestärkt werden. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass auch Saudi-Arabien eine wichtige Rolle Saif al-Islams in der libyschen Politik auf Dauer unterstützt: Zwischen den Gaddafis und den Sauds herrscht eine Art Erzfeindschaft, Gaddafi senior soll ja 2003 sogar versucht haben, den damaligen saudischen Kronprinzen und späteren König Abdullah umbringen zu lassen. Dennoch, man dürfe die derzeitigen Dynamiken nicht unterschätzen, sagt ein arabischer Diplomat, der nicht genannt werden will, zum STANDARD. Saif al-Islam, der auch in Ägypten seine Unterstützer hat, könne zu diesem Zeitpunkt nützlich sein.

Saif al-Islam (Schwert des Islam) Gaddafi ist der zweite Sohn Muammar Gaddafis, das erste Kind (von sieben) seiner zweiten Frau. Drei Söhne wurden während des Aufstands getötet, einer, Saadi, wurde 2014 in Niger, wo er zuvor im – luxuriösen – Hausarrest gelebt hatte, nach Libyen ausgeliefert, wie es heißt, nach Geldzusagen Libyens. Gaddafis Witwe Safiya konnte nach Algerien fliehen und lebt heute mit drei Kindern im Oman.

Reformbereit?

Saif al-Islam galt eine Zeitlang als möglicher Nachfolger seines Vaters, dem auch die Idee von notwendigen Reformen angeblich nicht fremd war. Als Chef der Gaddafi-Stiftung, die international etwa bei islamistischen Geiselnahmen intervenierte, verschaffte er sich einen Ruf als international akzeptables Gesicht des Gaddafi-Regimes nach außen. Mit seinem Auftreten während des Aufstands war dies alles weggeblasen.

Saif al-Islam studierte in Wien, wo er sich mit Jörg Haider anfreundete, und in London, dort sogar an der angesehenen London School of Economics. Dort erwarb er einen Doktortitel, begleitet von Gerüchten, dass die Dissertation nicht von ihm selbst verfasst worden sei. In Wien schaffte er es allerdings auch in den Boulevard: wegen seiner weißen Tiger und einer Ukrainerin, die vom Balkon der von ihm gemieteten Villa stürzte. Im Vergleich mit den Schlagzeilen anderer Gaddafi-Söhne vergleichsweise harmlos. (Gudrun Harrer, 12.6.2017)