Von Hans Niessl lernen heißt siegen lernen? Bundeskanzler Christian Kern will mit der SPÖ eine möglichst hohe Latte überspringen. Ob das noch einmal für die Regierungsspitze reicht? Kommt auf den Partner an.

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Vorweg: Dieser Kommentar ist kein Plädoyer für eine Koalition mit der FPÖ aus Sicht der SPÖ, sondern vielmehr ein Plädoyer für mehr Sozialdemokratie in und mit der SPÖ.

Bröckelnde Front

Schön langsam bröckelt die Front gegen die FPÖ-Ausgrenzungspolitik durch sozialdemokratische Politiker. Zuletzt forderte sogar Bürgermeister Michael Häupl eine Mitgliederbefragung zur Causa prima. Leider sind die Mitglieder der SPÖ von der letzten Befragung bezüglich Ceta noch immer traumatisiert, sodass hier vorerst ein gehöriges Maß an Wiedergutmachung vonnöten sein wird, um das Vertrauen der Mitglieder wieder zu gewinnen.

Viele in der Partei fragen sich mittlerweile allerdings sowieso, warum man um diese Frage so einen Eiertanz aufführt. Selbst bei Intellektuellen innerhalb und außerhalb der Bewegung kann man hinter vorgehaltener Hand hören, dass eigentlich nichts gegen Rot-Blau spricht, wenn die politischen Inhalte stimmen, die mit einer ÖVP nie zur Umsetzung gelangen würden. Aber diese Frage ist nach wie vor mit einem riesengroßen Tabu belegt, und wer es verletzt, wird von den politisch Korrekten gnadenlos bestraft.

Die FPÖ-Doktrin ist ohnehin nur noch ein fast religiöses Festhalten einer entschlossenen Minderheit in der Partei, die zwar immer geringer wird, aber noch überproportional in den Gremien der Partei vertreten ist. Nicht die Plausibilität der Argumentation zählt in der Frage, sondern die Moral, die bei derartigen Fragen immer gewinnt.

Rote Machiavellis

Diese Tabuisierung ist aber ein Akt der Respektlosigkeit, weil sie dem anderen immer unterstellt, moralisch nicht gut zu sein. Auf inhaltliche Argumentationen oder auf einen konstruktiven Diskurs kann man dann auch bequem verzichten. Von diesem Mantra muss sich die SPÖ zur Gänze lösen, wenn sie nach der kommenden Nationalratswahl politisch irgendeine Bedeutung spielen will. Denn nach Niccolò Machiavelli heiligt der gute Zweck die Mittel, weil durch unmoralische Mittel können moralische Zwecke gerechtfertigt werden.

In der Übersetzung würde das für die SPÖ bedeuten, dass sie sich aus der Geiselhaft der ÖVP befreit, die nicht nur die Sozialdemokratie inhaltsleer machte, sondern auch für das "Absandeln" Österreichs hauptsächlich verantwortlich ist. Österreich hat nahezu in allen relevanten Bereichen eine bessere Position zugunsten einer schlechteren getauscht: Von der Bildung bis hin zum einst so gepriesenen Sozial- und Gesundheitssystem, die ÖVP hat Österreich mir ihrer rückwärtsgewandten Klientelpolitik nicht nach vorn gebracht.

Alles ÖVP

Die ÖVP stellt seit 30 Jahren den Außen- und Wirtschaftsminister und seit dem Jahr 2000 sind ÖVP-Minister für die Finanzen, Inneres und die Wissenschaft hauptverantwortlich. Am Vermächtnis von der ÖVP-geführten Koalition mit der FPÖ haben sogar unsere Kindeskinder noch etwas davon, Stichwort Hypo Alpe-Adria und Eurofighter. Aber auch die Gerichte hätten weniger Arbeit. Und jetzt kommt ein zugegeben talentierter junger Politiker daher, der rund die Hälfte seines Lebens in dieser ÖVP verbrachte, und hat ob der politischen Situation scheinbar alle Trümpfe in der Hand.

Das Langzeitgedächtnis ist beim Souverän bekanntlich schlechter ausgeprägt als das "Kurz"-Zeitgedächtnis. Die SPÖ ist ob der FPÖ-Doktrin zwar immer bei den moralischen Siegern gewesen, selten bei den politischen Gewinnern, denn die SPÖ hat ihre Wählergruppen am Koalitionsaltar mit der ÖVP geopfert.

Gerade in der Kernkompetenz, der Sozialpolitik, sind der SPÖ schwere Vorwürfe zu machen: Die Reichen wurden immer reicher und die Armen immer ärmer, so kann man das politische Versagen etwa auf den Punkt bringen. Auf derartige Argumente geben jene, die nach wie vor die FPÖ-Doktrin beibehalten wollen, keine Antworten. Sie träumen offenbar noch immer von einer absoluten Mehrheit à la Kreisky oder von einer Koalition mit den Neos und Grünen.

Ziemlich unrealistisch nach derzeitigem Stand. Wenn die SPÖ von den Wählern bei der nächsten Nationalratswahl wahr- und ernst genommen werden will, dann muss sie einerseits Mindeststandards wie zum Beispiel vermögensbezogene Steuern oder gerechte Löhne und Transferleistungen definieren. Andererseits muss sie diese Inhalte umsetzen, das Darüberreden ist zu wenig und verursacht nur mehr Magenschmerzen.

Chance nützen

Wenn es dann letztlich mit der FPÖ möglich sein würde, diese notwendigen Inhalte umzusetzen, nichts Gravierendes dagegen spricht, dann muss die SPÖ diese Chance nützen. Sollte es keine Partei geben, mit der diese Inhalte umgesetzt werden können, dann bleibt der aufrechte Gang auf die Oppositionsbank. Nur so erhält die Sozialdemokratie ihre Glaubwürdigkeit zurück, das wäre doch moralisch genug?

Letztlich wäre es nur fair und wohl auch strategischer günstig, wenn die SPÖ noch vor den Wahlen eine klare Aussage über ihr Vorhaben nach der Wahl tätigt, denn die Menschen wollen dieses Taktieren nicht mehr.

Tut sie das nicht, dann verschreckt sie jene potenziellen Wähler, die sich eine Koalition mit allen im Parlament vertretenen Parteien vorstellen können, also auch mit der FPÖ. Sie schreckt aber auch jene Wähler ab, die auf keinen Fall eine Zusammenarbeit mit der FPÖ wollen.

Nicht ohne Schmerzen

Es liegt ausschließlich an der SPÖ, auf diese Fragen noch vor den Nationalratswahlen am 15. Oktober 2017 die entsprechenden Antworten zu geben. Ohne Schmerzen wird das natürlich nicht gehen. (Roland Fürst, 13.6.2017)