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Paul Datlinger, derzeit PhD am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM)

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Pipettieren", sagt Paul Datlinger, "ist nicht schwer." Da hat einer leicht reden – macht der Wissenschafter diese Handgriffe doch schon seit Jahren, nimmt die passende Pipette für die gewünschte Mikrolitermenge, vergisst nie die Spitze, die man zum Aufziehen von Flüssigkeiten braucht, ordnet und beschriftet Minibehälter so, dass er nie übersehen kann, was er wo schon dazugegeben hat. Automatismen geben ihm eben Sicherheit. Datlinger (29) ist Doktoratsstudent in der Gruppe des Epigenetikers Christoph Bock am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er lädt mich Ende April 2017 zum Pipettier-Training als Start eines Experiments ein, in dem wir CRISPR/Cas9 anwenden wollen.

Schon im November 2016 hat das ein Wissenschaftsjournalist versucht, er ist im Gegensatz zu mir Biologe, sein Text erschien im Fachmagazin Science und nahm im Titel das Ergebnis des Experiments vorweg: "One of our reporters tried to do CRISPR. He failed miserably". Im März probierte es ein Journalist der Neuen Zürcher Zeitung mit einem "Do it yourself Bacterial Gene Engineering CRISPR Kit", das er um erschwingliche 150 Dollar (134 Euro) beim US-Unternehmen Odin online bestellte.

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Eine visualisierte Darstellung des Genome Editing: Schneiden in der DNA
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Wir aber wollten es ähnlich wie der Redakteur von Science machen – also ins Labor gehen und dort unter Anleitung eines ständig präsenten Wissenschafters schauen, ob sich "to do CRISPR" machen lässt und wie sich das anfühlt: dieses Editieren von Genen, das von Übertreibungskünstlern gern als Gottspielen bezeichnet wird. Dafür brauchte ich einen XL-Gastlabormantel, der Trägern schnell eine würdig-professorale Note gibt, und Gummihandschuhe. Sie stehen in den Labors in allen verfügbaren Größen in kleinen handlichen Kartonboxen. Die Kleidungsvorschriften sollte man stets ernst nehmen. Es heißt hier im Laborbereich besser vorsichtig sein, keine Kontamination der Untersuchungsgegenstände mit von außen mitgebrachten Keimen riskieren und auch sich selbst nicht vermeidbaren Gefahren aussetzen.

Immerhin fehlerloses Pipettiertraining

In den kommenden Tagen wollen wir zwei Gene in der DNA menschlicher T-Zellen schneiden. Das sind Zellen, die, wenn sie gesund sind, für die Immunabwehr eine zentrale Rolle spielen. Dabei werden wir wohl sehen, ob CRISPR/Cas9 wirklich das Wunderwerkzeug ist, als das es oft beschrieben wird. Es kann ja so schnell wie keine andere vorher verwendete Methode (Zinkfingerproteine, TALENs) Gene inaktivieren und weckt dadurch unter anderem enorme Hoffnungen auf medizinische Anwendungen für bisher unheilbar geltende Krankheiten. Wie wird es sich anfühlen, als Laie erstmals mit dieser Technik zu arbeiten? Das Pipettieren ist übrigens ohne größeren Fehler gelungen, der CRISPR-Lehrmeister hat das eine oder andere Mal doch offenkundig schmunzeln müssen – vermutlich deshalb, weil ich die Pipetten wohl so angegriffen habe, als wären sie aus Porzellan. Aber gut, macht nichts: Es kann losgehen.

Im Labor wird der nächste Schritt mit Paul Datlinger besprochen
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Zunächst aber gibt es ein kleines Einführungsseminar: Am PC erklärt Datlinger, was die ersten Schritte sind. Zuerst bestimmen wir, welche Gene wir inaktivieren – aus keinem besonderen Anlass, sondern nur um zu schauen, ob und wie es gelingt. Datlinger schlägt zwei Ziele vor: ein Enzym, das die DNA mit Methylgruppen markieren kann, und ein Protein, das eben diese Modifikation lesen kann. Was das wieder bedeutet, erklärt er gleich, als er sieht, dass das Gegenüber aus der Zeitung die Augenbrauen verwundert hochzieht. Die beiden Gene sind für eine epigenetische Modifikation der Zelle verantwortlich, die schon im Embryonalstadium passiert. Und das heißt nichts anderes als: So entwickeln sich aus derselben Erbinformation unterschiedlichste Zelltypen, ob es nun Nerven-, Blut-, Haut- oder Leberzellen sind. Wie viele Zellen ein erwachsener Mensch insgesamt hat, wäre vielleicht so eine Frage, mit der man bei der nächsten Party unglaublich auftrumpfen kann. Man stellt sie und denkt sich, kaum dass die Frage ausgesprochen ist: Abgezählt hat sie wohl noch niemand. Die freundliche Antwort kommt dennoch: Es sollen etwa 40 Billionen Zellen sein.

Verwirrende Webseiten

Nun müssen wir die Struktur jener Gene studieren, die wir in der DNA schneiden wollen. Diese Details lassen sich mittlerweile alle über Informationsplattformen im Web eruieren. Für den Laien sind diese Seiten höchst verwirrend. Datlingers Umgang damit wirkt wirklich sehr routiniert: Wie bei jedem Schritt des Experiments können aber auch hier durch fehlende Konzentration unnötige Fehler passieren. Es geht jetzt vor allem darum, Stellen innerhalb der Gene zu finden, an denen mit CRISPR effizient geschnitten werden kann. In der DNA sind übrigens immer A und T (Adenin und Thymin) sowie G und C (Guanin und Cytosin) ein Basenpaar. Und mit dieser Information und dem Wissen über die exakte Buchstabenfolge können wir bei einem Zulieferunternehmen für Laborarbeit eine kurze DNA-Sequenz bestellen, die genau zu den Stellen passt, die wir schneiden wollen. Etwa fünf Euro kostet das pro Gen. Ein Schnäppchen.

"Pipettieren ist nicht schwer", sagt Paul Datlinger. Da hat einer leicht reden.

Warum wir das nicht selbst machen, wenn wir schon Pipettieren trainiert haben? Datlinger erklärt: "Natürlich könnten wir im Labor auch diese DNA-Sequenz bauen." Im Forscheralltag ist man aber längst dazu übergegangen, Routinearbeiten auszulagern, die allzu sehr aufhalten und Technologien brauchten, die sich nicht jedes Labor leisten will. Daher besser eine E-Mail mit der Bestellung: Zwei Tage später wird die DNA-Probe geliefert.

Ein magischer Moment

Stellt sich für den Moment also nur noch eine Frage: Warum braucht man eine DNA mit einer Sequenz, die zum Ziel des Experiments, den Genen, die geschnitten werden, komplementär ist? Die Antwort kommt aus den Untiefen biologischen Grundlagenwissens: Die bestellte DNA dient später als Vorlage der für CRISPR/Cas9 relevanten "Guide RNA" (Führungs-RNA). Diese kurze RNA ist die Schiene, die wir brauchen, um mit dem Enzym Cas9 zu den Zielgenen zu kommen, damit es ebendort seiner Bestimmung folgt und schneidet. Datlinger gerät ins Schwärmen: einer der vielen "magischen Momente" der Natur, die wir uns beim Experiment zunutze machen. Und er wiederholt, damit ich es auch wirklich begreife: Von der zugefügten DNA werden die Zellen später viele Kopien der "Guide RNA" abschreiben, die dem Enzym Cas9 zeigen, wo es zu schneiden hat.

Wir brauchen aber noch ein Transportmittel, das auf dieser Schiene fährt – fast so wie im Leben außerhalb des Labors. Ein Gleis ohne Zug ist sinnlos. Dafür verwendet Datlinger etwas, das er mir auch erst erklären muss: ein Plasmid, ein kreisrundes DNA-Molekül, in welches das bestellte DNA-Stück eingefügt werden soll. Als Klonierwerkzeug werden Bakterien verwendet. Datlinger sagt über sie anerkennend: "Das sind richtige Kopiermaschinen."

Später soll das Plasmid in künstliche Virus-Partikel verpackt werden. Die Frage "Warum ein Virus?" ist relativ einfach zu beantworten. Es hat die lästige Eigenschaft, in Zellen eindringen zu können und sein Genom ebendort einzubauen. Ein von Wissenschaftern gut verstandener und daher hochgeschätzter Transporter ist ein Lentivirus, das wir uns zunutze machen werden, um unsere Guide-RNA-Vorlage in die Zellen zu transportieren.

Ein kurzer Film über CRISPR: Erklärstück des McGovern Institutes for Brain Research am MIT
McGovern Institute for Brain Research at MIT

Für diesen nächsten Schritt wechseln wir zur Sicherheit in eine etwas höhere Risikostufe der Laborarbeit. Äußeres Zeichen: Der Mantel, den wir tragen, ist nun blau, nicht weiß. Der Zweck: Wer vergisst, ihn beim Verlassen dieses Bereichs auszuziehen und damit in die übrigen Räume geht, bekommt, wenn er erwischt wird, eine Ermahnung zu hören, denn theoretisch könnte der Vergessliche ein Virus aus der höheren Risikozone mitbringen. Theoretisch – denn passiert ist das noch niemandem. Mit den besagten Viren oder dem, was von ihnen übrig ist, wird selbstverständlich wieder mit Plastikhandschuhen gearbeitet – diesmal aber unter einer sogenannten Labor-Hood, einer Sicherheits- und Laborwerkbank. Das ist – vereinfacht gesprochen – eine Art Vitrine, die sich öffnen lässt und unter lautstarker Luftzirkulation verhindern soll, dass Erreger nach außen dringen können. Bevor man hier als Forscher "reingeht", wie Datlinger erzählt, wird einmal durchgeputzt. Das ultraviolette Licht sollte sein Übriges tun, eventuelle Keimbildungen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Der "Kehrmeister" spricht

Paul Datlinger lädt mich wieder einmal ein, selbst Hand anzulegen, einige Arbeitsschritte durchzuführen, die zur Herstellung des Virus führen. Einer seiner Kollegen kommentiert: "Ein Angebot, das man fast nicht ablehnen kann." Man könne sagen, einen Virus gebaut zu haben. Wie sich das anhört? Eher merkwürdig. Ich versuche es also, und obwohl ich, wie Datlinger kritisch anmerkt, "einiges niederpipettiert" habe, gelingt die Operation, wie er am kommenden Tag per SMS mit Foto von der Petrischale bestätigt. Forschungsgruppenleiter Christoph Bock schaut vorbei und amüsiert sich über die Antwort-SMS, in der die automatische Rechtschreibkorrektur aus einem "Lehrmeister" einen "Kehrmeister" gemacht hat. Er grinst. "Stimmt ja auch, einer muss am Ende zusammenräumen!"

Kleinarbeit im Labor: Damit keine Fehler bei einzelnen Schritten geschehen, muss man möglichst genau arbeiten und die Behälter beschriften.
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Die ersten Schritte sind also gelungen. Aber wir pipettieren, mischen natürlich auch in den nächsten Tagen weiter – das liegt auf der Hand. Gefühlsmäßig gibt es dauernd Flüssigkeiten, die von A nach B müssen und dann zur besseren Durchmischung zentrifugiert werden. Dauernd macht es Klick, Klick. Pipetten werden hergerichtet, wieder weggelegt, kleine Plastik-Tubes werden befüllt. Dazwischen wird immer wieder gerechnet, Ergebnisse von Messungen werden aufgeschrieben – zum Beispiel, wie viel DNA in hergestellten Proben enthalten ist. Der Einfachheit halber gleich mit einem wasserfesten Filzstift auf dem linken Plastikhandschuh. So verliert man die Messdaten nicht so leicht und kann sie am PC ein paar Schritte weiter gleich übertragen. Blöd wäre nur, wenn man – die Macht der Gewohnheit kann auch ein Problem werden – vor der Rückkehr an den Schreibtisch den Handschuh abstreift und zum restlichen Kunststoffmüll aus dem Laboralltag dazuwirft. Aber das passiert eigentlich nur Anfängern.

Forscherland USA

Paul Datlinger ist das ja schon lange nicht mehr. Er arbeitet seit fünf Jahren am CeMM. Davor war der Molekularbiologe an den Max F. Perutz Labs in Wien und am Imperial College in London. Langsam muss er sich überlegen, was der nächste Schritt in seiner Wissenschafterkarriere sein könnte, und Anträge und Bewerbungen schreiben. Nächstes Jahr werden andere PhD-Studenten am CeMM inmitten des Campus des Wiener AKH sitzen und ihre Forschungsarbeiten durchführen. Eine Stelle in den USA wäre schon interessant, gesteht Datlinger in der Mittagspause eines unserer Arbeitstage. Dort sei noch immer trotz der Kürzungen der Trump-Administration für Grundlagenforschung der Garten Eden der Biowissenschaften. Eine Arbeit, die er Anfang des Jahres als Erstautor im Fachmagazin Nature Methods publizieren konnte, dürfte als Beweis für seine Talente gelten: Ihm und anderen Wissenschaftern aus der Bock-Gruppe gelang es, CRISPR/Cas9 mit der RNA-Sequenzierung einzelner Zellen zu verknüpfen, was bisher unerreichte Einblicke in die genetische Steuerung von menschlichen Zellen ermöglicht.

Im Spiegelbild der Zentrifuge: Peter Illetschko (blauer Handschuh), Paul Datlinger (orangener Handschuh)
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Datlinger entwickelte für diese Studie eine neue Technik, die die Art der genetischen Veränderung in Einzelzellen sichtbar macht. Schließlich wird die Aktivität der Gene analysiert – mit ausreichendem Durchsatz, um den Effekt von Veränderungen des Erbguts in Tausenden einzelner Zellen charakterisieren zu können.

So weit also die mögliche Zukunft des "Lehrmeisters". Sein gegenwärtiger Laboralltag mit mir wirkt dagegen vergleichsweise normal. Man könnte zur Sicherheit rekapitulieren: Wir haben die DNA, von der die "Guide RNA" abgeschrieben wird – verpackt in ein Lentivirus. Beides wird nun zu den menschlichen T-Zellen gefügt, die Datlinger zuvor "aufgeweckt" hat, indem er sie kurz aus dem Stickstofftank holte und anregte. Am nächsten Arbeitstag ein mehrfaches Willkommen, das vertraut macht: Der Portier meint nur noch: "Sie wissen eh schon, in welchem Stock er arbeitet?" Und auch die anderen Wissenschafter aus Bocks Labor nicken freundlich. In ihren Gesichtern ist das "Dich-kennen-wir-jetzt-auch-schon"-Lächeln. Ein aufregender Tag: Heute wird das Virus zugeführt – das übernimmt Datlinger selbst, das dürfte ich aus Sicherheitsgründen gar nicht versuchen.

Höchste Konzentration der Laborhilfskraft: Der Journalist arbeitet am "Hood".
Foto: Datlinger

Sicherheitsvorschriften

Er kleidet sich dabei wieder mit einem anderen Mantel und zieht zwei Paar Gummihandschuhe über die Hände, damit er eines im Hood jederzeit abstreifen kann. Die Haut zwischen Mantel und Handschuhen wird verklebt, nachdem Datlinger kontrolliert hat, ob er auf ihnen einen offenen Hautkratzer hat. All diese Schritte sagen nur: Wir sind wieder in einer höheren Risikostufe. Auch hier kann eigentlich nichts passieren. Datlinger sagt, er wolle sein Glück nie herausfordern – und arbeitet mit der von ihm schon gewohnten Fingerfertigkeit. Pipettentechnisch flink, wie der Fotograf später erzählen wird. Datlinger berichtet, manchmal im Virenraum auch Musik zu hören – im Rhythmus könne er sich bestens konzentrieren. Die Ergebnisse seiner Arbeit sollten schließlich in einer neuen Zentrifuge gemischt werden. Die in ihr verteilten Proben sollten bis auf kleinste Mengen identische Gewichte haben, denn ansonsten scheppert das Gerät wie eine alte Trockenzentrifuge im Waschsalon.

Datlinger schreibt am kommenden Tag wieder ein SMS. "Die Transduktion mit den Lentiviren sollte geklappt haben!" Ich hätte nie gedacht, dass ich mich über eine solche Nachricht irgendwann einmal freuen und wie ein Tennisspieler nach dem Satzgewinn die Faust ballen würde. Die Nachricht erfreut mich auch deshalb, weil ich nun weiß, dass wir das meiste richtig gemacht haben: Lehrmeister und Hilfslaborant. Der Gentransfer war erfolgreich. Jetzt passiert das, was man an Zellen schon bewundern darf. Sie kopieren, was zu kopieren ist, sie führen Dinge zusammen, die biologisch zusammengehören: Das ist das Wunderwerk, von dem die Welt noch mehr sprechen sollte.

Christoph Bock, Gruppenleiter am Zentrum, erklärt CRISPR. Paul Datlinger sagt, was ihn an der gemeinsamen Arbeit mit einem Journalisten interessiert hat.
fischer

Die beiden Zielgene werden schließlich erfolgreich editiert: Nur eine Woche nach den bis dahin letzten Schritten des Experiments wissen wir, dass die Arbeit erfolgreich war. Die Information kam durch die Analyse und Sequenzierung der entsprechenden Genabschnitte. Es ist also geschafft. "To do CRISPR" oder wie der Kollege aus der Redaktion witzelt, "crispern", ist kein Hexenwerk, die Kosten sind überschaubar, der Zeitaufwand ebenfalls, die Teile des Werkzeugs für Experten wie Datlinger einfach herzustellen. Kein Wunder also, dass es kaum noch Labors gibt, die nicht damit arbeiten. Und wie fühlt sich das an? Es war ein Ausflug in eine ungewohnte Arbeitswelt. Aber wahrscheinlich wäre er nicht anders verlaufen, hätten wir es mit einem anderen Experiment versucht, das weit weg von Durchbrüchen wie CRISPR ist.

CRISPR herzustellen dürfte jedenfalls erlernbar sein. Das dürfen aber weiterhin die Wissenschafter machen, die für die Wunder der Biologie brennen. Wir Journalisten brennen für die kritische Beschreibung ihrer Arbeit. (Peter Illetschko, 18.9.2017)