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Mikroskopische Aufnahme einer T-Zelle, die der Immunabwehr dient, auf einer Krebszelle.

Foto: Picturedesk/ Steve Gschmeissner

Wien – Im Jahr 2009 startete der erste klinische Test, in dem versucht wurde, Menschen mittels Genome-Editing zu therapieren. Damals ging es um HIV. Mittlerweile laufen rund 20 klinische Studien mit Genome-Editing weltweit – die meisten davon in China. Vielfach sind diese in der Fachwelt ob ethischer Bedenken umstritten. Als das CRISPR/Cas9-System vor fünf Jahren als bislang beste Methode zum Modifizieren von Genen entwickelt worden ist, geschah das vor allem mit der Absicht, ein effektives Werkzeug gegen Krebs zu schaffen. Inzwischen gibt es aber eine Vielzahl von Krankheiten, an deren Therapie mit Genome-Editing gearbeitet wird.

Dabei dreht sich einer der größten Streitpunkte der medizinischen Forscher weltweit momentan darum, in welchem Stadium und an welcher Art von Zellen eingegriffen wird: Bei Gentherapien werden einzelne Zellen von Patienten entnommen, die an einem bekannten genetischen Defekt leiden, und therapiert. Die so durchgeführten Veränderungen werden nicht weitervererbt. Will man Krankheiten allerdings präventiv ausschalten, wäre es notwendig, genetische Veränderungen an den Stammzellen menschlicher Embryonen vorzunehmen.

Der große Streit

Während die erste Therapiemöglichkeit recht unumstritten ist, entzündete sich der große Streit der Mediziner daran, ob es ethisch vertretbar ist, direkt an menschlichen Embryonen das Gen-Skalpell anzulegen – mit möglicherweise unabsehbaren Auswirkungen, die an nachfolgende Generationen weitervererbt werden könnten. Es stellt sich aber auch die umgekehrte Frage: Ist es ethisch vertretbar, das Leid zigtausender Menschen in Kauf zu nehmen, an genetischen Krankheiten zu leiden, obwohl man das Werkzeug hätte, diese zu eliminieren – sich aber nur nicht durchgerungen hat, es zu nutzen?

Auch ist dabei zu bedenken, dass sobald es ein Land auf der Welt gibt, das bestimmte Anwendungen von Genome-Editing erlaubt, ein Patiententourismus, um sich dort heilen zu lassen, die wahrscheinliche Folge wäre. Im Moment positioniert sich China dabei als Vorreiter. Dort soll im Juli auch die erste klinische Studie anlaufen, bei der Zellen direkt im menschlichen Körper verändert werden. Bisher wurden Zellproben entnommen, bearbeitet und anschließend wieder eingesetzt.

Erste klinische Studien

Bei der ersten klinischen Anwendung von Genome-Editing im menschlichen Körper geht es um Gebärmutterhalskrebs. CRISPR/Cas9 soll dafür eingesetzt werden, Humane Papillomaviren (HPV) aufzuspüren und zu zerstören, die mitunter zum Tumorwachstum führen.

Wann Genome-Editing-Methoden so weit entwickelt sind, um Krebs und andere Krankheiten standardmäßig effektiv therapieren zu können, darüber ist sich die Fachwelt ebenfalls uneins. Die Schätzungen reichen von einigen Jahren bis zu Jahrzehnten. Ein wesentliches Problem dabei sind sogenannte Off-Target-Effekte, also Nebeneffekte der genetischen Therapie. Wie Forscher Ende Mai im Fachblatt "Nature Methods" berichteten, führt CRISPR/Cas9 bei Mäusen zu deutlich mehr Mutationen als zuvor angenommen: Sie fanden rund 1500 kleine Punktmutationen – und das in Regionen, die bisher als nicht gefährdet eingestuft worden waren.

Aussichtsreiche Behandlungen

Insgesamt ist die Behandlung mittels Genome-Editing vor allem bei Krebs – und dabei in Kombination mit anderen Krebstherapien sowie Erbkrankheiten wie der Muskeldystrophie des Typs Duchenne am aussichtsreichsten.

Bei Krankheiten wie Diabetes, Herzerkrankungen oder psychischen Störungen liegt die Vermutung nahe, dass Umwelteinflüsse dabei eine wesentliche Rolle spielen – die Behandlung auf rein genetischer Ebene mittels Genome-Editing könnte sich daher womöglich als weniger aussichtsreich herausstellen, als vielfach gehofft wird. Auch bei Lungenkrebs wird Nichtrauchen so schnell nicht von Genome-Editing als beste Vorsorgemaßnahme abgelöst werden.

  • Hoffnungsträger gegen Krebs: In den westlichen Ländern liegt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens Krebs zu bekommen, bei rund 50 Prozent. Frühdiagnosen und Therapiemöglichkeiten verbessern sich stetig – die Methode CRISPR/Cas9 verspricht bahnbrechende Erfolge für alle Formen von Krebs. Dabei gibt es zwei Ansätze: Genome-Editing kann direkt gegen Krebs eingesetzt werden, indem das System unliebsame Zellmutationen entfernt. Oder die Technologie kann begleitend zur Unterstützung bereits existierender Krebstherapien eingesetzt werden. Letzteres geschah im Fall von Layla Richards. Ende 2015 wurde die damals einjährige Blutkrebspatientin in London mit genetisch veränderten Immunzellen behandelt – als erster Person weltweit rettete Genome-Editing ihr das Leben.

  • Gendefekt, der Muskeln zerstört: Die Duchenne-Muskeldystrophie ist die häufigste und schwerste Muskelerkrankung. Da sie durch einen Gendefekt am X-Chromosom bedingt ist, leiden fast nur Buben daran: Eines von 3600 männlichen Babys ist von der Krankheit betroffen. Durch den Gendefekt wird in den Muskelzellen kein Dystrophin produziert – jenes Eiweiß, das die Muskeln stabilisiert, was auch Atem- und Herzmuskulatur betrifft. So beträgt die Lebenserwartung von Duchenne-Patienten nur etwa 25 bis 30 Jahre. Während sich eine frühere Gentherapie als wirkungslos herausstellte, konnte der Gendefekt bei Mäusen durch CRISPR/Cas9 bis Ende 2015 bereits in vier unabhängigen Studien korrigiert werden. Die Hoffnungen sind daher groß, dass die Therapie auch bei Menschen greift.

  • Heilungschance für das Gehirn: Die Huntington-Krankheit gilt bislang als unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns. Doch es besteht Grund zur Hoffnung, dass sich das durch Genome-Editing ändern könnte. Die Betroffenen leiden aufgrund eines Gendefekts an Störungen der Muskelsteuerung, der Mimik, des Gefühlslebens und der Hirnfunktion insgesamt. Da dieser Defekt nur ein einziges Gen betrifft, liegt der Verdacht nahe, dass die Huntington-Krankheit therapiert werden kann, indem man dieses Gen entsprechend verändert. Da bei dieser Krankheit aber eine schadhafte Kopie des Gens eine Verwüstung im Körper anrichten kann, ist laut dem Wissenschaftsautor und Biologen Jim Kozubek fraglich, ob Genome-Editing dagegen helfen kann, solange nicht alle 37,2 Billionen Zellen im Körper verändert worden sind.

  • Abwehr von HIV: Die ersten klinischen Tests, um Genome-Editing therapeutisch einzusetzen, betreffen HIV-Patienten. Das Ziel dabei ist, ihre Immunzellen derart zu verändern, damit es nicht zum Ausbruch von Aids kommt. Im Zentrum steht dabei ein Gen, das sich auf der Oberfläche der weißen Blutzellen befindet und das Protein CCR5 hervorbringt. Menschen, denen dieses Gen fehlt, sind von Natur aus resistent gegen HIV. 2015 präsentierte das kalifornische Biotech-Unternehmen Sangamo Biosciences Daten einer klinischen Studie mit HIV-Patienten, in der gezeigt wurde, dass durch die Ausschaltung des CCR5-Gens mittels Genome-Editing der Verlauf der Krankheit gestoppt und sogar umgekehrt werden kann. Zudem gibt es noch weitere Ansätze, HIV mit CRISPR/Cas9 zu bekämpfen. (Tanja Traxler, 10.7.2017)