Vor der Liverpooler Skyline kreuzt die Dazzle Ferry. Sie wurde von Peter Blake designt, der auch das Beatles-Plattencover "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" gestaltete.

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Die vier Bronzestatuen der Beatles am Pier Head wurden 2015 vom Bildhauer Andy Edwards nach einem berühmten Foto geschaffen. Der Cavern Club schenkte sie der Stadt Liverpool.

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Den Fab Four entkommt man in Liverpool nicht.

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Ein Besuch im "Cavern" ist für jeden Betatles-Fan Pflicht.

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Seit die Beatles den Titel "Penny Lane" 1967 herausbrachten, wurden die Straßenschilder zu Hunderten abmontiert und als Souvenirs mitgenommen. Nun sind sie im Mauerwerk verschraubt.

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60 Jahre, eines der einflussreichsten Alben der Musikgeschichte: Am 2. Juni 1967 erschien "Sgt Peppers Lonely Hearts Club Band" der Beatles.

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Jeden Morgen um elf Uhr setzt sich der bunt lackierte Bus in Bewegung. Fünfmal am Tag die gleiche Tour, stets gut gefüllt mit Besuchern von Tokio bis Buenos Aires, von 16 bis 76. Sie sind Gäste der Magical Mystery Tour, einer Zeitreise auf den Spuren der berühmtesten Söhne der Stadt. Schon die Busse sind Programm: grelle Lackierung und flotte Sprüche aus dem unerschöpflichen Textrepertoire der Beatles: "We've got a ticket to ride!"

Liverpool war einst der wichtigste Seehafen Englands, später ein Sanierungsfall des industriellen Niedergangs. Seit den 1980er-Jahren erlebt die Stadt ihre Wiederauferstehung, mit renovierten Hafendocks und gestyltem Zentrum, Fußgängerzonen, Szenerestaurants, Kunstgalerien. Liverpool ist die hippste Metropole Englands. Die Beatles haben einen wesentlichen Anteil daran.

Beatles-Jubel-Jahr 2017

2017 ist für die Stadt, die sich selbst City of Music nennt, wie ein Sechser im Lotto. Sir Paul McCartney wird am 18. Juni 75 Jahre alt; am 6. Juli vor genau 60 Jahren trafen sich er und Lennon zum ersten Mal; das wichtigste Beatles-Album, Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, wurde vor 50 Jahren veröffentlicht. Und der legendäre Cavern Club, in dem die Beatles nach Hamburg erste Heimsiege feierten, hat ebenfalls 60 Jahre auf dem Buckel.

Ein Jubiläums-Overkill also, der so bald nicht wiederkommen wird. Der Beatles-Tourismus spüle jährlich mehr als 97 Millionen Euro in die Stadt, erklärt Joe Keggin vom städtischen Tourismusbüro. Hinter dieser Zahl verbergen sich Dienstleistungen aller Art: von Souvenirverkäufern über Taxichauffeure bis zum Beatles-Tourguide, vom Fanartikelhersteller bis zum Museumskurator.

Fab-Four-Taxi

Ross Grant, Fahrer und Tourguide in einem, dreht die Soundanlage im Bus auf: I want to hold your hand- Pärchen blicken einander verträumt an. Ross verspricht, alle wichtigen Orte der Band-Geschichte abzuklappern. Die Magical Mystery Tour beginnt im Albert Dock, dem historischen Hafen Liverpools. Wer es privater mag, macht im Fab-Four-Taxi eine ähnliche Rundfahrt.

Neben Fahrer Ross sitzt Joey Lyons. Er stellt sich als Beatles-Intimus heraus. Beim ersten Stopp, vier Bronzestatuen der Fab Four, legt er los: "John Lennon hält in der rechten Hand zwei Eicheln. Wohin auch immer er in der Welt reiste, überreichte er Politikern eine Handvoll Eicheln als Friedenssymbol. Auf dem Gürtel, den George Harrison trägt, steht hinten ein indisches Mantra. Denn das war die Philosophie, an die er glaubte." Joey ist Experte für die Details, die der gemeine Beatles-Fan nicht sofort sieht. "Und wenn ihr hier vor Paul McCartney steht, seht ihr, dass er eine Filmkamera trägt, die von Linda McCartney ist. Seine Frau war ja Fotografin."

Strawberry Field forever

Penny Lane könnte irgendeine Nebenstraße sein. Nicht sehr breit, nicht besonders lebendig, passiert sie ein paar Grünanlagen und Mittelklassewohnhäuser, um schließlich an einer Kreuzung im Stadtteil Allerton wieder auf Verkehr und Geschäfte zu treffen. Der Song Penny Lane hingegen gehört zu den berühmtesten der Popmusik. Fahrer Ross lächelt schelmisch: "Seit die Beatles den Titel 1967 herausbrachten, wurden die Straßenschilder zu Hunderten abmontiert und als Souvenirs mitgenommen. Nun sind sie im Mauerwerk verschraubt." Nun gut, für Erinnerungsfotos mit den neuen Emailleschildern reicht es.

Penny Lane, später Strawberry Field, Barber Shop – sie alle liegen dort, wo Lennon und McCartney aufwuchsen, mit dem Bus täglich in die Schule fuhren, ihre Freizeit verbrachten, auf der Gitarre klampften und mit Mädchen anbandelten. Viele Songs der Beatles handeln von den Erinnerungen an ihre Kindheit in Liverpool, beschreiben Gefühle und Schicksalsschläge. Es sind authentische Erlebnisse, die der Besucher problemlos nachempfinden kann. Das macht den Charme aus, auf ihren Spuren die Stadt zu entdecken.

Heulende Fans

Das Liverpool Institute for Performing Arts ist eines der Projekte, die McCartney unter seine Fittiche nahm. Hier ging er zur Schule. John Lennon und seine erste Frau Cynthia studierten später Kunst in dem mächtigen Bau. In der Krise Liverpools musste das Institut dichtmachen. McCartney kaufte 1996 das heruntergekommene Gebäude und baute es zu einer Kunstakademie um.

Joey Lyons, der Mann fürs Insiderwissen, zaubert eine Anekdote aus dem Hut: "Eines Tages stand ich hier mit einem deutschen Paar. Plötzlich geht eines der Fenster auf, und Paul McCartney ist zu sehen. Die Frau rennt zum Fenster und schreit: Paul, Paul, Paul! Der zieht erschrocken seinen Kopf zurück. Sie schreit weiter. Also lehnt er sich wieder vor und spricht doch wirklich auf Deutsch mit ihr. Die Frau fängt an zu heulen. 64 Jahre hat sie darauf gewartet, ihn zu treffen."

Nur gegen Voranmeldung

Liverpool, das im Zentrum nicht mehr wiederzuerkennen ist, hat sich in den Wohngebieten kaum verändert. Wer die Miethäuschen sieht, in denen George Harrison und Ringo Starr aufwuchsen, macht sich eine Vorstellung davon, wie die Burschen in den Fünfzigerjahren nur eines wollten – weg vor dort. Sowohl Lennon als auch McCartney waren dagegen Mittelstandskinder. Ihre für heutige Verhältnisse dennoch beengten Wohnverhältnisse stehen Fans zum Besuch offen. Der National Trust hat die Häuser beider Familien in den Originalzustand versetzt und erlaubt kleinen Gruppen eine Zeitreise ins Nachkriegs-Liverpool.

20 Forthlin Road ist ein Reihenhaus der 1950er-Jahre. Roter Klinker, sechzig Quadratmeter Grundfläche, winziger Garten. Auf der Magical Mystery Bustour darf man nur von der Straße einen Blick darauf werfen, wo Paul McCartney sieben Jahre seiner Jugend verbrachte. Hunderttausende pilgern jährlich hierher. Sie würden Bausubstanz und Ausstattung ruinieren, dürften sie alle eintreten. Besuche müssen daher lange im Voraus gebucht werden.

Gerockt wird heute wie damals

Dann erst öffnet sich das Gartentor, und Verwalterin Sylvia Hall begrüßt die kleine Schar exklusiver Gäste. Vom Band ertönt die Stimme Paul McCartneys, der über seine Zeit hier erzählt. In seinem winzigen Jugendzimmer direkt über der Eingangstür wurden viele Hits der Beatles geschrieben, trafen sich Paul, John und George zum Üben. Um die hundert Songs, vermutet Hall. "Immer, wenn ich die Tür morgens aufmache, sage ich: Guten Morgen, Paul!"

Unumgänglich ist ein Abend im Cavern Club. Zwei Stockwerke tief im Keller in der Mathew Street wird heute noch genauso gerockt wie damals, als Manager Brian Epstein hier die Weltkarriere der Beatles einfädelte und die erste Konzerttour in die USA lancierte. Gegenüber an der Hauswand lehnt ein Bronze-Lennon. Und man meint, ein spöttisches Lächeln in seinen Mundwinkeln zu erkennen, wenn jeden Samstagabend Leute aus aller Welt zur "Saturday with the Beatles"-Nacht in den Katakomben verschwinden. Dann spielt die frisurenmäßig einwandfrei gestylte Coverband deren Repertoire rauf und runter und reißt die Massen zu Begeisterungsstürmen hin.

Das ist der Hype, für den die meisten nach Liverpool gekommen sind. Nun geben sie Vollgas bis zum nächsten Morgen. (Michael Marek und Sven Weniger, 18.6.2017)