Moskau/Raqqa – Weltweites Rätselraten herrschte am Freitag über die Frage, ob Abu Bakr al-Baghdadi, der Chef der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), noch am Leben ist. Schon in den Morgenstunden tickerten Nachrichtenagenturen und Onlinemedien im Minutentakt, dass das Verteidigungsministerium in Moskau Berichte prüfe, wonach al-Baghdadi am 28. Mai bei einem russischen Luftangriff in der Nähe der syrischen Stadt Raqqa getötet worden sei.

Kurz vor dem Luftschlag sollen die russischen Streitkräfte Geheimdienstinformationen über ein Treffen von IS-Führern erhalten haben. In einem südlichen Vorort von Raqqa wollten diese laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums mögliche Rückzugsrouten für die IS-Kämpfer besprechen, die militärisch bereits immer mehr in Bedrängnis geraten waren. Aufklärungsflüge von Drohnen hätten daraufhin Ort und Zeit des Treffens bestätigt, kurz nach 0.35 Uhr habe die Luftwaffe dann zugeschlagen.

Führungsriege im Visier

Moskau geht davon aus, dass mehrere IS-Anführer bei der Aktion getötet wurden, außerdem etwa 30 Kampfkommandanten und an die 300 Leibwächter der Führungsriege. Ob auch al-Baghdadi selbst unter den Toten ist, blieb zunächst ungewiss: Informationen, der Anführer der Miliz sei bei dem Treffen gewesen und "eliminiert" worden, würden derzeit überprüft, verkündete das russische Verteidigungsministerium am Freitag. Auch Außenminister Sergej Lawrow wollte den Tod al-Baghdadis am Nachmittag nicht eindeutig bestätigen.

Die Vereinigten Staaten, die ebenfalls eine Militärkoalition gegen den IS anführen, im Unterschied zu Russland aber nicht an der Seite des syrischen Machthabers Bashar al-Assad stehen, sollen über den Luftschlag vorab informiert worden sein. Auch von ihrer Seite gab es zunächst keine verlässlichen Nachrichten über den Verbleib al-Baghdadis. Vertreter des Irak, den die USA im Anti-IS-Kampf unterstützen, äußerten sich sogar eher skeptisch.

Schattendasein

Anders als Osama Bin Laden, der Anführer der Terrormiliz Al-Kaida, der 2011 von einem US-Sonderkommando getötet wurde, trat al-Baghdadi in der Vergangenheit nur selten öffentlich in Erscheinung. 1971 soll er als Ibrahim Awad al-Badri im irakischen Samarra geboren worden sein. Ab 2010 führte der Islamgelehrte die Organisation "Islamischer Staat im Irak" an, die damals noch zur Al-Kaida gehörte.

Von dieser sagte er sich später los, um den IS aufzubauen. Lange Zeit wusste kaum jemand, wie al-Baghdadi eigentlich aussieht. Nach Ausrufung seines "Kalifats" Ende Juni 2014 tauchte er dann überraschend in einer Moschee in der nordirakischen Stadt Mossul auf und hielt dort die Freitagspredigt – um sich daraufhin wieder in den Schutz seines Schattendaseins zurückzuziehen. Gerüchte über seinen Tod gab es schon oft. Sie hatten sich immer wieder als falsch herausgestellt. (schub, 16.6.2017)