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Vorbild James Bond: Auch in "Undercover" agiert der "Bulle" als Schwiegermuttertraum, aber mit ethischen Untiefen.

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Rob Evans, Paul Lewis, "Undercover. Die Geschichte der britischen Geheimpolizei". Aus dem Englischen von Maria Rossi. € 16,- / 288 Seiten. Bahoe Books, Wien 2016

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Menschen lassen sich, grob gesprochen, in zwei Kategorien unterteilen: jene, die den Staat kritisch und skeptisch betrachten, und jene, die seinen Institutionen vertrauen. Vor allem die Polizei genießt einen umstrittenen Ruf. Die Meinungen reichen von "Bullenschwein" bis hin zu "mein Freund und Helfer".

Diskussionen über dieses Thema sind meist unerquicklich, weil sich die Positionen diametral entgegenstehen. Die einen werfen der Gegenseite "Naivität" oder gar "Spinnerei" vor, die anderen "Untertanengeist" und "Feigheit". Da kommt es wie gerufen, wenn ein profund recherchiertes Buch anhand von ausgiebig dokumentierten Fällen Klartext redet.

Die in Undercover dekonspirierten Fälle sind alle ähnlich gelagert. Die britische Polizei, genauer gesagt die Special Demonstration Squad (SDS), schmuggelt einen Agenten (in einem Fall eine Agentin) in eine Aktivistengruppe hinein. Der Agent richtet sich ein im subversiven Dasein, er hat eine oder mehrere Geliebte, er arbeitet mit beim Formulieren von Pamphleten, beim Organisieren von zivilem Widerstand.

Doppelleben

Er führt ein Doppelleben. An Wochenenden bei Frau und Kind, wochentags im Einsatz, unter Aufwendung aller trügerischen Mittel. "Er war", berichtet eine Aktivistin, "höflich, aufmerksam, sehr romantisch, fürsorglich (...) Ich habe mir gedacht, er ist der Richtige. Er war sehr charmant, und ich hätte ihn sofort meinen Eltern vorgestellt." Das ist eine neue Variante: Der "Bulle" als Schwiegermuttertraum. Teilweise jonglierte die betreffende Person mit drei Liebschaften gleichzeitig, ein besonders aufopferungsvoller Einsatz im Dienste von Queen & Country.

Es entstehen folglich Abhängigkeiten, Freundschaften, Verbrüderungen, in einem Fall sogar ein Kind. Die Agenten haben freie Hand, dürfen betrügen und täuschen und sogar kleine Verbrechen begehen. Das Motto des Einsatzes lautet: "By Any Means Necessary" – mit allen notwendigen Mitteln. Sie verfügen zudem über sehr viel Geld (der Staat scheut bei seinen repressiven Maßnahmen keine Mittel, was man ja auch daran erkennen kann, dass die Militärbudgets unhinterfragt steigen, während eifrig an den sozialen Leistungen gespart werden soll).

Immer wieder sticheln die Agenten ihre Mitstreiterinnen zu radikalerem Handeln auf. Sie flirten stets mit den extremsten Positionen. Bei einem von ihnen, Bob Lambert, besteht sogar der Verdacht, er habe nachts einen Brandsatz im Kaufhaus Debenhams in Harrow gelegt, als Teil einer Aktion gegen Pelzhandel.

Attentäter und Spitzel

Solche Bockgärtnerei ist keineswegs ein neues Phänomen. Der berühmteste Agent Provocateur der Geschichte war wohl Jewno Fischelewitsch Asef in Russland, einerseits Mitbegründer der Sozialrevolutionären Partei, andererseits Agent der zaristischen Geheimpolizei Ochrana. Attentäter und Spitzel in Personalunion, opferte er Menschen auf beiden Seiten auf dem Alter des zynischen, durchtriebenen Doppelspiels.

Im Gegensatz zu den unzähligen Hollywoodfilmen, in denen Undercoveragenten heroisiert werden, zeigt dieses Buch die ethischen Untiefen dieses staatlichen Vorgehens auf, die zerstörten Menschenleben, die Hybris der Spitzel, die in manchen Fällen geradezu Allmachtsfantasien auslebten, indem sie den Kitzel der Illegalität auskosteten, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Zumal liest es sich gerade in den Psychogrammen der schurkischen Helden wie ein spannender Roman.

Die langjährige Realität solcher Infiltrierung hinterlässt tiefe Wunden, teilweise unüberwindbare Traumata. Es ist schwer, die Perfidie dieser "Strategie" zu übertreiben, zumal sich die allermeisten Einsätze keineswegs, wie manche Leser vermuten würden, gegen islamistische oder nazistische Terroristen richteten, sondern gegen Umwelt- und Tierschützer, gegen Menschen, die der Richter, der sie in einem der Prozesse freisprach, als "ehrlich, aufrichtig, gewissenhaft, intelligent, überzeugt, engagiert, fürsorglich" beschrieb.

Investigativer Journalismus

Der Brite Rob Evans wurde von der letzten seriösen Tageszeitung der Insel, The Guardian, zwei Jahre freigestellt, um an diesem Buch zu arbeiten. Nach Veröffentlichung seiner Artikel wurde eine Vielzahl von verdeckten Ermittlerinnen identifiziert, die Polizei musste sich für einige Aktivitäten entschuldigen. Dieses Buch belegt die enorme Bedeutung des investigativen Journalismus. Ohne diese Recherchearbeit wäre vieles nicht ans Tageslicht gekommen. Nur die Taschenlampen guter Journalisten können ein wenig Licht in die Finsternis des "deep state" bringen. Leider aber wurde "fast nichts unternommen, um das System zu reformieren, oder zukünftige Missbrauchsfälle zu verhindern", wie die Autoren in ihrem Resümee schreiben.

Undercover wurde übersetzt von einem Kollektiv Wiener Aktivisten, die teilweise selbst ähnliche schmerzhafte Erfahrungen gemacht hatten. Und es ist erschienen in dem jungen Bahoe-Verlag, der auf Anhieb eine beachtliche Zahl lesenswerter politischer Titel über Geschichte und Gegenwart veröffentlicht hat.

Einer Bananenrepublik würdig

Österreichische Leser werden dieses Buch mit einem eigenen Blick rezipieren. Seit dem berüchtigten Tierschützerprozess in Wiener Neustadt weiß man hierzulande von den gegen politische Aktivisten eingesetzten Polizeimethoden: nicht nur GPS-Peilsendern an Fahrzeugen, Wanzen in Wohnungen, Kameras vor Eingangstüren und versteckten DNA-Entnahmen, sondern auch Eingriffen in das intimste Privatleben, vor allem durch die verdeckte Ermittlerin "Danielle Durand".

Dieser Prozess endete wie auch andere dieser Art (Stichwort: "Uni brennt"-Bewegung) in Freisprüchen, nicht zuletzt wegen der Aussage dieser dubiosen Agentin. Die Anwendung eines Paragrafen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität auf überzeugte Veganer wäre auch einer Bananenrepublik würdig gewesen. Aber die Polizei erzielte aus eigener Sicht trotzdem einen Erfolg, nicht nur weil das Leben der Angeklagten durch den 18-monatigen Prozess schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Wie in England, so in Österreich: Misstrauen und Zwietracht und Verunsicherung sind Folgen solcher behördlichen Maßnahmen. Die Abschreckungswirkung auf alle Bürgerinnen und Bürger, die sich widerständig organisieren, ist nicht zu unterschätzen. Letzten Endes ist die Zivilgesellschaft das Opfer, neben der kritischen Presse die letzte Bastion zur Verteidigung demokratischer Freiheiten. (Ilija Trojanow, 18.6.2017)